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Making-of Nathan. Notizen auf dem Weg zur Inszenierung.

Überzeugungsdialoge. Lesedrama. Dramatisches Gedicht.

„Es kann wohl sein, dass mein Nathan im Ganzen wenig Wirkung tun würde, wenn er auf das Theater käme, welches wohl nie geschehen wird. Genug, wenn einer sich mit Interesse wohl lieset und unter tausend Lesern nur Einer draus an der Evidenz und Allgemeinheit seiner Religion zweifeln lernt.“ Lessing an seinen Bruder Karl, 18.4.1779

„Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise aus dem Jahr 1779 gilt als das Aufklärungsdrama schlechthin. Durch Überzeugungsdialoge und insbesondere die eingelagerte Erzählung der Ringparabel gewinnt in diesem Stück ein auf Toleranz
basierender Humanitätsgedanke auf beispielhafte Weise Gestalt. Auch heute kommt dem
Stück angesichts weltweiter Religionskonflikte wieder besondere Aktualität zu. Doch hat Nathan der Weise vor allem als Lesedrama Karriere gemacht. Zu viel hehre Ideen, zu wenig spannungsgeladene Spielhandlung – so lauten die weiterverbreiteten Bedenken gegen das Bühnenwerk.“  Prof. Ortrud Gutjahr, Theater und Universität im Gespräch, Band 11, Hamburg 2010

Erstausgabe Nathan

Vermächtnistext.

Lessings unspielbares Drama voller unwahrscheinlichster Handlungen, die einer Soap-Opera den Rang ablaufen würden (verbotene Liebe unter Geschwistern, ein nach Indien fliehender Unterhändler, erpresserische Geldgeschäfte und intrigante Ränkespiele im Kloster) ist auch 2017 wieder das Stück der Stunde. Während die Welt mit postfaktisch-ausgerichteter Gesinnung in die Hände autokratischer Potentaten (Russland, Türkei, Amerika) gerät, bedroht  uns aus dem Nahen Osten exakt jener Konflikt, der nach der kritischen Aufarbeitung der Kreuzzüge eigentlich ad acta gelegt worden war, mit einem schauerlichen, global erschütternden und unsere aufgeklärten Werte attackierenden Comeback. Diesmal mit ISIS als den Kreuzrittern…

Münchner Volkstheater
„Was ist das für ein Gott, der für sich muss kämpfen lassen?“ Recha, III.1 — Titelplakat „Nathan“ Volkstheater München

Lessings letztes Drama ist sozusagen sein Vermächtnistext für eine  Auseinandersetzung mit der Aufklärung – und eine aufgeklärte, tolerante Haltung als Konsens einer freien, modernen Gesellschaft scheint heute wieder in Gefahr.

Soweit so sinnvoll. Doch wie nähern wir uns dem Stoff an? 2017, in Wilhelmshaven?

Die gegenseitigen Zuschreibungen der Religionen (Jude, Muselmann, Christ, Derwisch etc.) sind die Grundlagen für die Vorurteile und Vorverurteilungen mit denen sich die Dramatis Personae und wir mit ihnen der Welt begegnen – und die auch und eben heute noch oder erneut die großen Konflikte und Kriege treiben. Theatral stellt uns allerdings schon allein eine möglicherweise antisemitisch zu bewertende Darstellung „des Jüdischen“ vor unlösbare Herausforderungen, von den Fallstricken der Darstellung des gefährlich-nachdenklichen Sultans ganz zu schweigen. Und natürlich werden wir weder Krippenspiel noch Aladdin im Wunderland erarbeiten.

Homeland Jerusalem

GE Lessing
„Wir müssen, müssen Freunde sein!“ Nathan, II.1

Der melting pot Jerusalem lädt ein zur Phantasie über das friedliche Zusammenleben der drei Weltreligionen – dabei vergessen wir, dass das Stück während eines Moratoriums spielt. In der kurzen Phase zwischen erbitterten Schlachten kehrt also der Jude Nathan zurück und lernt den Muslim Saladin kennen, der als erfahrener Kriegsherr gerade die Christenmacht zurückdrängt. Die Katholikin Daja schlägt sich allein in Jerusalem durch und Nathan Ziehtochter Recha, verwirrt vom interreligiösen Chaos, verliebt sich in einen Engel. Que faire? Der Text, aus dem inneren Bedürfnis einen realen Konflikt mit den Mitteln des Theaters fortzuführen (Fragmentestreit), strotzt vor ausführlicher Erklärungen, versöhnlicher Diskussionen und sticht eher durch die Beschreibung von Gefühlen als durch deren dramatisches Ausagieren.

Wir nähern uns dem Stoff voller nachklingender Aphorismen und durchdachter dialogischer Wendungen als szenische Textanalyse, zu Anfang als theatralische Erforschung, als spielerisch-nachdenkliche Textbegehung. Im Zentrum des Lesedramas stehen in meinem Interesse Ringparabel und religiöse Konfliktdiskurse. Und drei Frauen in frauenfeindlichem Umfeld… Die Schauspieler eröffnen sich erzählend ihre Rollen, erzählen uns die Geschichten des Abends.

Vorabtext im Spielzeitbuch der Landesbühne.

Erzählmaschine

Langsam verdichten sich im Verlauf der Story die Kostümelemente zu eindeutigeren Figurenangeboten und szenischen Behauptungen. Ein Vexierspiel aus geschlossenen und offenen Setzung mit einer „Laterna Magica“ im Zentrum. Minidramen aus kriegerischen Zeiten. Diskurs über Fremd und Zugehörig, über Heimat und Ausgrenzung, über Liebe, Freundschaft und Familie darf zwischen Bühne und Zuschauerraum oszillieren, die Erzählmaschine soll an diesem Abend mit den Mitteln der Phantasie unsere Haltungen in Bewegung versetzen.

Erzählmaschine
„Imagine there’s no countries… nothing to kill or die for and no religion, too / Imagine all the people living life in peace…“ John Lennon

The Journey begins

Mit Beginn der Leseprobe und Konzeptionsbesprechung am 5. September 2017 startet der zweite Teil der Reise, die Umsetzung von Gedanken in Wirklichkeit. Diesmal und erstmals begleitet von Probennotizen in lockerer Reihenfolge. Sozusagen ein spin-off zu Lessings Hamburgischer Dramaturgie: Abends aufführen, morgens reflektieren = morgens proben, nachts nachdenken oder konzentriert proben und am Wochenende Revue passieren lassen.

Nathan WHV Week One
Der Einstieg: Woche 1

Die Proben starten auf einer perfekt vorbereiteten Probebühne: die Drehfunktion ist samt sämtlicher Raumelemente bereitgestellt – die Grundannahmen der szenischen Setzungen sind komplett erprobbar! Aber in Woche eins und Akt 1 stehen die Zeichen eher auf gedankliche, emotionale Durchdringung, der erzählerische Gestus wird ausprobiert. Gefühle, Begegnungen, innere Wendungen werden durch szenische Improvisationen erforscht und verankert.

u.a. in Woche 2: Die Ringparabel

Wir arbeiten konzentriert chronologisch in Woche zwei. Text, Gedanke, Emotion, Szene, Struktur, Motive, Begegnungen, Gefühle. Zwei große Stränge beschäftigen uns in Akt 2 und der Vorbereitung der zentralen Schlüsselszene in Akt 3: Sittah und Saladin, das muslimische Geschwisterpaar, Herrscher über ein Jerusalem während der Feuerpause, ein Powercouple wie die Underwoods oder die Macbeths? Und die Ringparabel. Ein konzeptionell wichtiger Schritt in der erzählerischen Herangehensweise ist angelegt. Kleine Video-Sequenzen sind in Bearbeitung. Die ersten Anproben haben stattgefunden. Spannend und beglückend!

„Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt.“ Die Brüder Karamasow | Fjodor Dostojevski

Die dritte Woche stellt uns vor simple aber trickreich zu bewältigende Herausforderungen: Die letzte Premiere, ein megaerfolgreiches Musical, muss jetzt gespielt werden. Über die Hälfte des Ensemble reist ab nachmittags im Bus zu den Spielorten der Landesbühne, die Logistik der Woche ist herausfordernd, um Ruhezeiten und Betriebsbedürfnissen gerecht zu werden. Mit genauem Plan schreiten wir tiefer in den Text voran. Probieren die erzählerischen Elemente und den sprechereschen Gestus, den Übergang von Erzählen zu Spiel. Und im Spiel dann die dritte Ebene:

Wann ist heute, wieviel extrem?

Die Verwandlung. Das visuelle „Aufrüsten“ in die Extreme religiöser Verblendungen hinein… Wieviel Bildwirkung hält der Text aus, wieviel Gefühl hat Lessing in seinem scheinbaren Lesedrama versenkt? Ansonsten: auch ein wenig Zeit fürs Entdecken der Lage und der rauen Schönheit der Stadt am Jadebusen. Erfüllend!

„Wir haben beide
Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind
Wir unser Volk? Was heißt denn Volk?
Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,
Als Mensch?“ Nathan, II.5

Die vierte Woche war schwer. Nicht wegen der Arbeit. Wegen der Wahlen. Der Einzug der AfD in den Bundestag hat mich geschockt. Und reflektiert in die Arbeit hinein: Kann man, darf man, muss man „den Juden“, „die Muslimin“ nun anders erzählen? Natürlich nicht! Lessing hat einen traumhaft schönen Text geschrieben, der jeden Menschen versucht zu erfassen, zu verstehen, innerlich greifbar zu machen, im Besten, aber, wenn man tief genug forscht im Textmaterial, auch im Schlimmsten. Wir suchen die Konfrontation mit und in dem Text. Und so elegant-brutal wie Sittah die Intrige schmiedet, ebenso radikal fundamentalistisch lässt sich die Christin Daja lesen. Dann noch Nathan Sätze „Sind wir uns Volk? Was heißt denn Volk?“ – und alles ist da. Ist wie in einer Zeitmaschine in beiden Zeiten zugleich. Vom Workflow her eine volle Woche, voller Erkenntnisse und spannendem Ausprobieren. Raum, Kostüm und Sound traten mit den Schauspielern in intensiven Austausch, Frank und Matthias waren erstmals gleichzeitig vor Ort, wir haben beide Teile durchgearbeitet. Dazu noch Arbeit an Ringparabel und Patriarch mit Deborah, Sprechcoach der Landesbühne. Erforschung eines gestalterischen Umgangs mit Sprache, in dem die Form und der Entschluss in der Arbeit mit dem Text vor dem Gefühl einsetzt und die Emotion auf ganz andere Wege schickt. Bereichernd! Dann noch ein Moment von Öffentlichkeit: Die „Konsuln“ der Landesbühne haben einen Ausschnitt lang zugeschaut, wie wir den Anfang des zweiten Teils gebastelt haben, ein Besuch in der Werkstatt. Noch 15 Probentage. Zeit für ein Bergfest!

It has arrived: Modell wird Wirklichkeit.

Langsam wird‘s ernst: Die fünfte Woche war durch den 3. Oktober kurz und hatte es in sich. Nach der Technischen Einrichtung ist die gemütliche Probebühne West (in Wilhelmshaven sind alle Wege kurz, von der West in die Kantine sind es nur zwei Stockwerke, in die Dramaturgie grade mal 50 Meter) abgebaut worden für „Nathan“ – ab jetzt nur noch Bühnenproben. Luxuriös. Die Umsetzung vom Modell in die Realität ist großartig gelungen und die Drehbewegung ist leichtgängiger und leiser als wir erwartet haben!

Von jetzt ab nur noch Bühnenproben bis zur Premiere…

Aufregend ist die Umsetzung auch für unsere szenische Arbeit. Alles ist größer, weiter, ungeschützter – immer ein neuralgischer Punkt, aus dem Probenraum auf die Bühne zu gehen. Aber immer cool. Und wir wollten, dass die „Laterna Magica“ Luft hat, ausgesetzt im leeren Raum steht. Dass die Phantasie von Jerusalem ein gefährlicher Transitraum ist. Die Inszenierung muss sich behaupten in der großen Form. Die Sprache im neuen Raum neu erfunden werden, die Gefühle überprüft, die szenischen Setzungen wieder und wieder angeschaut werden. Mit viel Zeit ein angenehmer Schritt. Wir steigen tiefer und tiefer ins Material ein, die Figuren werden immer freier, der Text fließt und kann Schicht für Schicht immer wieder neu bewertet und verankert werden.

Woche 6 bietet unter anderem eine erste AmA! Technische Proben, Beleuchtung, alles gerät in Ablauf – wir sind im Plan!

Wir nähern uns der Zielgeraden… Eine erste Alles-mit-Allem liegt hinter uns. Wir haben viel geschafft in der letzten Woche, das Licht ist im Groben schon eingerichtet, Cues sind verabredet, die Chöre verankert und alle Gewerke sind Schritt für Schritt eingestiegen. Wir können beginnen, die Geschichte in der Endfassung zu ahnen und haben noch einen Moment um das angelegte Konzept maximal in die Realität umzusetzen. Die Spieler haben nun noch fünf große Proben, in denen die Bögen der Figuren, die Charakterskizzen und Begegnungen, die Emotionen und Gedanken im flow erlebbar sind. Wir denken darüber nach, wie lange wir auf die Endform der Kostümgestaltung schauen möchten, auf die extremste Ausformung religiöser „Verblendungen“ – und ab wann wir wieder an die Erzähler ran wollen… Spannend und schön! Ausserdem natürlich auch Interviews und das Programmheft. Nächste Woche stößt Matthias Schubert nach seiner Premiere in Nürnberg zu uns und finalisiert den Soundtrack.

Der Endspurt beginnt!

 


20. Oktober 2017, der Tag der Generalprobe. Erschöpft und glücklich. Erste Eindrücke auch bei Frank Albert im Portfolio. Und bald dann hier auf der Review-Seite.

 

Interview fürs Programmheft mit Saskia Zinsser-Krys

Was ist für dich die Kernaussage des Stücks?
Warum ist das Stück heute wieder/immer noch so wichtig?

Alle Menschen gehören zur selben Familie. Alles, was uns unterscheidet, ist nur ausgedacht. Es gibt nicht die eine einzig wahre Religion. Und erst recht sind religiöse Anschauungen oder andere innere Vorstellungsbilder vom Sinn des Lebens keine Rechtfertigung für Massenmorde oder Gewalt.

Was bedeutet für dich persönlich Toleranz?

In einem altsprachlichen Klostergymnasium aufgewachsen, gucke ich natürlich gern zur Wortwurzel, tolerare bedeutet: aushalten, erdulden, ertragen. Das ist eine kleine Strecke, die das Wort zurücklegen musste, bis es sich in den Toleranzgedanken der Aufklärung eingepasst hat. Ich sehe es naturgemäß positiver. Für mich ist Toleranz eine Grundhaltung allem Fremdartigen gegenüber; erst einmal neugierig in die Situation hineingehen und ein Abenteuer suchen, statt sich abzuschotten und in gewohnten Erfahrungen zu verharren. Manchmal muss man dann auch etwas aushalten und unangenehme Erfahrungen für sich einordnen. Aber ich finde das besser, als sich in Angst und Sorge vom Leben zurückzuziehen. Oder um es mit Trojanow zu sagen: „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall.“

Sowohl die Darstellung des Nathan als auch die Darstellung des Saladin sind in unserer heutigen Zeit der ‚political correctness‘ mit Fallstricken verbunden – wie gehst du damit in deiner Inszenierung um?

Ich habe einmal während meiner Lehrzeit an den Münchner Kammerspielen einen Satz von Dieter Dorn gehört, den ich nie vergessen habe, er inszenierte damals Gisela Stein in Euripides Hekabe, die nach dem Verlust ihrer 50 (!) Kinder im trojanischen Krieg, dann auch noch ihre letzte Tochter, Polyxena, für besseres Wetter auf dem Weg in die nächste Schlacht opfern soll. Auf den Versuch hin, Anteile der Handlung psychologisch zu deuten sagte Dorn wohl wortgemäß „Was fremd ist, muss auch fremd bleiben auf der Bühne“ – das hat mir eine ganz Welt eröffnet, im Umgang mit den scheinbar unspielbaren Stoffen und Gegebenheiten in klassischen Werken. Warum müssen Figuren per whitewashing gut gemacht werden? Ähnlich interessant beim Storytelling: Warum muss das „Böse“ erklärt werden und aus einer schwierigen Kindheit her begründet werden? Es ist doch viel aufregender, vollkommen vorurteilsfrei und tolerant auch an die schwer erträglichsten Widersprüche heranzugehen und diese auszuleuchten bis in den tiefsten Abgrund. Saladin war ein hervorragender Stratege und ein gewiefter Kriegsherr, ein Machtpolitiker, der die Attentäter vom Templerorden mit brutalster Gewalt unter Kontrolle brachte. Wir werden unsere Ängste vor Terror und „dem Fremden“ nicht bewältigen, wenn wir sie bagatellisieren. Aber wir wollen ihnen nicht erliegen. Saladin ist auch ein erfahrener Diplomat und liebevoller Familienmensch. Nathan hingegen hat eine junge Christin als Pflegetochter und eine weitere Christin als deren Gesellschafterin angestellt, über das Unausgesprochene darf in seinem Haus nicht geredet werden. Und der traumatisierte Tempelherr versteht erst langsam, welchen Blutrausch die katholische Kirche über die Welt gebracht hat. Wer von denen hat Recht? Wer Unrecht? Grundsätzlich oder situativ? Das ist doch die Denksportaufgabe, die uns der geniale Text von Szene zu Szene stellt und die uns im besten Sinne jederzeit wieder an die Waffen der Aufklärung ruft: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Insofern: Ich gehe mit Political Correctness so um, wie mit allen kurzsichtigen und undifferenzierten Aspekten, die das Leben langweiliger machen – ich ignoriere sie. Mich interessiert nicht „der Jude“ oder „der Muslim“, mich interessiert die Person. Vorurteilsfrei. Angstfrei. Aber ich muss gestehen, dass mir in dieser Arbeit die Lust am interkulturellen Zusammentreffen szenisch noch größer wurde, dass ich die Auseinandersetzung mit „dem Jüdischen“ sehr schätze und ich einen reichhaltigen Schatz an kulturellen Bezügen im Alltag sehr theatral erlebe und entsprechend reizvoll finde.

NATHAN DER WEISE gilt als unspielbares Stück und Lessing selbst hat ihm nicht viel Wirkung auf der Bühne zugetraut – was war in den letzten Wochen deine Erfahrung diesbezüglich?

Das Stück ist voller Aphorismen und szenisch handlungsarm, dabei aber mit Wortwitz in wunderbarer Sprache voller utopischer Phantasien von einem kosmopolitischen Zusammenleben, erdacht in einer Zeit als es noch kein Deutschland gab. Wir haben uns viel Zeit genommen, das Stück auf seine Essenz hin zu streichen – und noch mal mehr Zeit auf den Proben, um es erlebbar zu machen. Für uns und die Zuschauer. Dabei war ich immer auf der Suche nach (den für Theater zudem in der Umsetzung spannenden) Konflikten. Und bei diesem Stück konfrontieren wir Konflikte, die wir natürlich bei der aktuellen Weltlage im Allgemeinen und der erschütternden Lage im Nahen Osten im Besonderen nicht ignorieren können. Wir nähern uns dem Stoff in seiner Tradition als Lesedrama, als einem Dramatischen Gedicht, und arbeiten uns Schicht für Schicht vor. Legen immer eine Ebene mehr an, um den Stoff mit dem heute in Kontakt und in Kollision zu bringen, gehen dabei szenisch so behutsam vor, dass er nicht zerbricht oder in falscher Verkleidung verloren geht. Meine Erfahrung: Es hat großen Spaß gemacht, mich dem Unspielbaren zu stellen. Das geht dem Zuschauer (und den Abiturienten, die da durch müssen…!) hoffentlich auch so. Dass wir bereichert aus dem Theater gehen und gemeinsam miteinander reden wollen. Über Toleranz und Religion, Politik und Gewalt.

Vor allem der Schluss in Lessings (noch) nicht erfüllten Weltgemeinschaftsutopie hat es in sich – wie bist Du damit als Regisseur im Jahr 2017 umgegangen?

Du spielst auf die Enthüllungsdramaturgie am Ende an? Ich bin Fan amerikanischer Serien, da bin ich einiges an absurden Familienverwicklungen gewohnt. Und ich nehme das erst mal ganz ernst, das muss man ja erst mal nachvollziehbar machen, wer da wann wo mit wem… und dann noch nach Franken migriert ist und das Wetter nicht ausgehalten hat… und zurück im Nahen Osten dann noch mehr Kinder gekriegt hat. Wir wollen jetzt nicht verraten, wer eigentlich mit wem verwandt ist, aber, da schließt sich der Kreis zum Anfang des Interviews und zu John Lennon: Imagine there’s no countries Nothing to kill or die for And no religion, too Imagine all the people Living life in peace.

2 Kommentare zu “Making-of Nathan. Notizen auf dem Weg zur Inszenierung.

  1. Es hat wirklich lange nachgehallt. Es arbeitet nach und wirkt tief. Danke! Das hat wieder Spaß gemacht!

  2. Barbara Weber

    Eine unglaublich intensive Auseinandersetzung und eine großartige Chance für Interessierte, am Entstehen einer Theater-Inszenierung teilzuhaben. DANKE!

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