Als mich die modernlifeschool auf „den besten Platz“ der Unterrichtsstunde zum Müßigang einlud, war mir nicht klar, dass ich ganz nah bei Tom Hodgkinson sitzen würde – nämlich: dass ich direkt neben ihm dolmetschend und moderierend sitze! Es wurde ein aufregender Abend. Denn Tom ist nicht nur der humorvollste Philosoph, den ich kenne, sondern auch ein spannender Erzähler. Er vermischte seine Biografie mit der Historie des Müßiggangs, von Diogenes, Sokrates übers Mittelalter bis zur Reformation (aus seinem Blickwinkel: Schluss mit lustig, Luther und Calvin beendeten den Kult der leisure time und das katholische Treiben um Genuß und Ablass) – von den Mühen des Lebens auf dem Land bis hin zum Businessplan for Bohemians. Die Kunst des Müßiggangs will ernsthaft betrieben sein, schon Toms Buch über „Die schöne alte Welt“ ist ein bodenständiger Leitfaden fürs selbstbestimmte Leben auf dem Land mit den Rhythmem von Saat und Ernte für Selbstversorger und keine „Landlust“-Jane-Austen-Schmonzette. Ein handfester Realismus ist all seinem Denken zugrundeliegend. „We all don’t want to sink into poverty“ motiviert ein gründliches Nachdenken über das einfache Leben, Fragen nach der besten Stundenzahl für Arbeit pro Tag oder nach Tipps für den Umgang mit den Mühen des Alltags führen ihn eher zu lebenspraktischen Erwägungen, wie man seine Ziele und Erwerbstätigkeiten balancieren sollte. Kleinunternehmen, die man selber steuert, sind ihm, dem self-made Editor des erfolgreichen Magazins „The Idler“ , sympathischer als ein Leben in scheinbarer Sicherheit großer Unternehmen. Aber auch für die Gefangenen in unglücklichen Strukturen hat er Rat, der sich ohne viel Geld umsetzen lässt: spazieren gehen, Fahrrad fahren. Die Rolle der Denker ohne direkte Einbindung in die Produktionsketten von Unternehmen kann man an einem Abend mit Tom mit Händen greifen: das absichtslose Schlendern ist der Humus aus dem die großen, produktiven Ideen entstehen können. Filterfunktionen, Diskurse und Widerständigkeiten gegenüber der Realität, die der Rolle der Kunst eigen sind, brauchen den Sauerstoff „Müßiggang“. Die freie Zeit bis an den Rand der Langeweile (und darüber hinaus) in Müßiggang zu verwandeln scheint uns indes nicht leicht zu fallen. Das produktive Element nicht zu erzwingen sondern mit Gelassenheit entstehen zu lassen, all das will offenbar heutzutage wieder erlernt werden. Und das Einverleiben aller Lebensbedürfnisse in die Unternehmen entlarvt sich als ein gefährlicher Scheinerfolg, der Arbeitskraft nur noch tiefer in einen unternehmerischen Ablauf scheinbar familiär einbindet – und einer (fragwürdigen) Work-Life-Balance endgültig den eigenständigen Kraftaspekt eines Balance-Aktes nimmt.
Die erste School of Life öffnete in London 2008. Die Idee einer Schule für die drängenden Fragen des alltäglichen Lebens beschäftigte Alain de Botton schon länger – ein wiederkehrendes Motiv seiner Arbeiten (z.B. sein Buch über Marcel Proust, „How Proust can change your life“) ist die Kraft, die Kunst auf unser alltägliches Leben ausüben kann. Welcher Künstler plant, denkt, täumt nicht davon, dass seine Arbeit das Leben verändern kann? Eine meiner Lieblingssessions von ihm beschäftigt sich mit der Perversion moderner Medien, auch gut als Buch „The News“.
Tom Hodgkinson eröffnete 2010 eine „Idler Academy“ und war einer der ersten Gastredner in de Bottons School of Life. In London hat man also die Wahl zwischen verschiedenen Varianten von Philosophieschulen!
Das Hamburger Pendant gründeten Pia Schaf und Gaby Bohle – uneingeschränkt empfehlenswert.
„The idea that you can knit a tea cosy, put it up for sale on a website, tweet about it, watch the orders come flooding in and quit your job is pure fantasy. Making stuff is easy. Selling it is not.“ Tom Hodgkinson, Business for Bohemians
0 Kommentare zu “The Idler”