Warum bloggen wir? Wer liest wen? Wer schreibt für wen? Wie überschauen wir die Menge veröffentlichter Texte? Und wie entscheiden wir über die Relevanz des Gelesenen? Lassen wir uns treiben im Strom ungefilterter Gedanken und Meinungen? Planen wir Stunden des Vorbeiplätscherns ein, um uns wie in einer riesigen Mindmap selber ein Bild zu erarbeiten, eine thematische Umkreisung nach dem Prinzip try and error? Oder macht dieses Nippen und Naschen in der täglichen digitalen Leseflut uns nur immer unfähiger für vertieftes, konzentriertes Lesen? Wir lesen viel mehr als jede Generation vor uns. Online, offline, parallel.
Dieses Gedankenfeld beschäftigte mich bei der Vorbereitung eines Panels für die Fachkonferenz „Theater & Netz, Vol. 3“: Letztes Wochenende widmete die Böll-Stiftung und Nachtkritik mit #tn15 zwei Tage dem Nachdenken über die Positionierung von Theater im politisch/technisch/ästhetischen Kontext – sind Stadttheater bereit für digitale Visionen?
Agieren Stadttheater heute bereits zunehmend als Player oder begreifen sie sich als Plattformen gesellschaftlicher Veränderungen?
Bianca Praetorius und ich waren eingeladen, die Funktionsweisen und Ziele von Theaterblogs zu erörtern: was suchen Institute im Spannungsfeld zwischen kritischer Reflektion hausgemachter Öffentlichkeit?
Die Zusammenstellung des Podiums setzt auf den Unterschied zwischen embedded blogging (also wir im Thalia Theater mit unseren interkulturellen Lessing- und Premierenbloggern) und dem Festivalblog des Berliner Theatertreffens.
Während die klassische „Kuratierung“ des Printjournalismus uns darauf zurückwirft, einer eingeführten Marke zu vertrauen und sich so über die Leseerfahrung Vorlieben ergeben, ist die Suche im Internet, das Lesen und die Kommunikation online vollkommen anders. Wir lesen anders online, ich zumindest: lese schneller, scanne Texte, versuche Netze von Zusammenhängen aus verschiedenen Blickwinkeln zu erfassen und die Tendenz des jeweiligen Textes selber zu bewerten. Auch Bianca beschreibt einen schnelleren Drive beim Texterfassen und auch einen anderen, dynamischeren Hunger nach Information. Wir springen beim Lesen über die Schlagworte hinweg und versuchen immer mehr aufzunehmen.
Welche Blogs sollten wir also in unseren täglichen Gebrauch einfügen? Welcher Stimme sollten wir trauen wie den eingeführten Meinungsmarken ZEIT, SPIEGEL, WELT, TAZ, NYT? Welche Blogs sind „kritische Relektion“, welche homemade Öffentlichkeit(sarbeit = PR)?
Oder ist allein diese Frage schon hoffnungslos old school? Wir in Hamburg kooperieren mit Zeitungen, wir vertrauen Verlagen und Redaktionen, deren inhaltliches Wollen uns nahe steht – und dennoch erwarten wir bei allen Untiefen, die Verlage auch finanziell gerade konfrontieren, dass die Arbeit immer kritisch, schonungslos und eigenständig bleibt.
Und wenn wir selber Blogs anregen, um (im Fall von Thalia Theater) eine neue Personengruppe an die Inhalte von Theater heranzuführen, dann agieren wir selber auch wie Journalisten/Redaktionen light: eine kritische Reflektion ist nicht nur erwünscht, sondern gefordert. Ein Theaterblog, der Theater beschreibt, kann keine Werbetextmaschine sein. Allerdings: Warum verstehen wir unter Kritik eher Verrisse als Liebeserklärungen? Warum befürchten wir bei hemmungslosen Begeisterungsbekundungen dümmer auszusehen als bei bösartigen Sottisen? Und hat da ein Blog durch die intermediäre Herangehensweise nicht auch ganz andere Chancen zwischen Neugier und spielerischem Umgang?
Während Bianca mit einer kritischen Reflexion während der Leistungsschau des deutschen Theatersystems (und somit der größten Fachmesse unseres Metiers) größtmögliche Unabhängigkeit sucht und dabei eine Auswahl an Bloggern finden muss, bei der Fachkenntnis, Schreiblust und Unerschrockenheit in gutem Maß zueinander stehen, hat man mit einem Blog, der einer Institution zugeordnet ist, andere Zielsetzungen und Herausforderungen.
Doch Eines bleibt jeder Herangehensweise an Kunstblogs meiner Meinung nach gleich: Es lesen und verargumentieren diese Texte viel zu wenig Menschen. Die Chance eines Fachblogs besteht in einer essayistischen Herangehensweisen und der Eröffnung eines Austauschforums. Offenbar ist jedoch der Leselust und Auseinandersetzungsfreude durch knappe Zeitressourcen eine Grenze gesetzt. Ein Programmheft führt Beipackliteratur zusammen, Kritiken bieten uns die Macheten durch den Dschungel der Grossstadtangebote – Herangehensweisen, die der Effektivität und Ökonomisierung unseres Zuschauens Handwerkszeug zur leistungssteigernden Tageszeitgestaltung liefern.
Sind wir also hoffnungslos blogged-in? Welche Blogs lesen wir? Wann? Warum? Sind Blogs moderne Briefromane? Die Möglichkeit einer professionellen Meinungs- und Kritikmaschine etwas Persönliches entgegenzusetzen ohne dabei im Liebhabermilieu stecken zu bleiben? Spielerische und kreative Partizipation und Erfassung eines Stoffes, der einen begeistert und der durch die Bearbeitung noch ausgiebiger zu eigen gemacht und geteilt wird? Und wäre die Chance eines Blogs also auch ein gemeinsamer Schreib- und Denkprozess?
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