Ein Text von Carl Hegemann (2012).
Das Theater ist ein Ort der Reflexion und Erforschung derjenigen Seiten unserer Existenz, die im marktorientierten Erfolgsdenken keinen Platz finden: es betrachtet selbst, wenn es Komödie spielt, die dunkle Seite des Mondes. Im Theater wird thematisiert, was uns quält und beschäftigt, und über das wir in der gewöhnlichen Konversation nicht reden können. Deshalb ist es niemals nur an Sprache gebunden sondern auch an das Unausgesprochene. Theater zu machen und zu sehen, ist gemessen an den Kriterien ökonomischer Rationalität, Zeitverschwendung. Aber macht gerade seinen Reiz aus. Das Theater gehört zu den ganz wenigen Institutionen unserer Gesellschaft, die in ihrem „Kerngeschäft“ nicht dem Kalkül, nicht dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterworfen sind. Es produziert zwar im Markt, und weiß um dessen Zwänge, aber es produziert nicht für den Markt. Die Antriebe des Theaters sind nicht ökonomischer Natur. Die Gesellschaft leistet sich einen Ort grenzenloser Freiheit, in dem „wir von allem, was Zwang ist, im Physischen wie im Moralischen, befreit sind“ (Schiller). Natürlich ist dies ein Ort des ästhetischen Scheins, eine Traumwelt, ein Spiel. Aber das Theater ist mehr als ein privater Traum und nur Regeln und Gesetzen unterworfen, die es sich selber gibt.
Es ist ein erstaunlicher und kluger Zug unserer Gesellschaftsordnung, dass sie Platz für eine Institution geschaffen hat und diese sogar finanziert, die den Grundlagen dieser Ordnung wesentlich zuwider läuft, die sich all dem widmet, was sonst verfemt, verdrängt und tabuisiert ist und die in einer auf Erfolg getrimmten Welt die Tragödie, das Scheitern in den Mittelpunkt stellt.
Das Theater hat die Aufgabe, Gegenrichtungen in der Gesellschaft zu markieren. Und diese Gegenrichtungen sind dringend nötig, auch wenn sie sich nicht rechnen. Denn eine Richtung ohne Gegenrichtung ist keine Richtung. Sondern Kamikaze. Das weiß man im Theater seit 2500 Jahren. Manchmal wird es vergessen.
Mit freundlicher Genehmigung durch den Autor.
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