1979 gründete der amerikanische Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn die Stress Reduction Clinic und entwickelte aus verschieden Aspekten buddhistischer Meditationen und indischem Hatha-Yoga ein Programm, das in seiner Einfachheit und Säkularität weltberühmt wurde. Mindfulness-based Stress Reduction, kurz MBSR, wurde in unterschiedlichste Unterformate weiterentwickelt und in seiner Wirksamkeit vielfach wissenschaftlich untersucht.
Die nächsten Kurse
… und Retreats sind immer wieder aktualisiert hier verlinkt; ob live oder online, in Unternehmen oder für Privatpersonen.
Im Folgenden fächere ich meinen persönlichen Ansatz und mein Nachdenken auf: Ich collagiere mir wichtige Lehrpersönlichkeiten mit den Grundbegriffen der Mindfulness-Lehre und den Erkenntnissen der letzten Jahre und Jahrzehnte. Dieser Blogpost wird fortwährend weitergeschrieben und ich freue mich über Kommentare und Gastbeiträge.

Geistesgegenwart
Jon Kabat-Zinn ist mit der deutschen Übersetzung des Begriffes Mindfulness nicht glücklich, auch wenn Achtsamkeit uns heutzutage durch viele Beiträge zu Wellness in modernen, westlichen Gesellschaften modisch-geläufig und liebgewonnen scheint. Und das beinhaltete Achtung! in Achtsamkeit uns durchaus eine Assoziation aufzeigen kann, die über das „Erwachen“, das Sam Harris in seiner Meditations-App „Waking Up“ sogar ins Zentrum seiner Arbeit mit Meditation nimmt.
Als gelernter und „praktizierender“ Theaterregisseur geschult in der Arbeit mit Sprache und Konnotationen, assoziierte ich dieses „vollen Geistes“ mit dem deutschen „Gegenwärtigkeit“ – bin ich wirklich ganz da? An dem Ort, hier, und zu dem Zeitpunkt, jetzt, wo ich mich gerade befinde? Im Bewusstsein des bewertungsfreien Erlebens von Gedanken und Gefühlen, die mich in (körperlichen) Empfindungen in dem jeweils gegenwärtigen Moment definieren? Dieses Erlebnis des Augenblicks ist auch in der alltäglichen Theaterarbeit Thema, wo wir oft über Wahrhaftigkeit, Authentizität und die Kraft der leiblichen Ko-Präsenz in großen Arbeitssessions namens Proben miteinander „meditieren“. Die Fokussierung der Konzentration auf die Gegenwart, nicht zu Verwechseln mit der Therapiemethode Focusing, sondern: das bewusste Erleben der körperlichen, emotionalen, gedanklichen Aspekte des jeweilig-flüchtigen Moments Jetzt – dieses Erleben kann heilsam sein. Mindfulness, mit vollem Bewusstsein präsent sein.

Für Jon Kabat-Zinn hat sich offenbar in den letzten Jahren der Aspekt der auch im Programm inkludierten Mettā-Meditationen vertieft, das Gewahren der eigenen Gefühlswelten bedeutet für ihn bei Mindfulness vor allem auch Heartfulness: mit geöffnetem Herzen und allen Emotionen präsent sein.
Achtung!
Dieses sogenannte Erwachen für uns selber kann natürlich so einfach sein, wie ein gutgemeintes Achtung! bevor man in sein Handy vertieft eine überfüllte Straße betritt. Und ebenso dramatisch sind oftmals die Schilderungen gerade aus dem amerikanischen Raum, wie lebensrettend das Programm Menschen aus Gefahrenzonen um Burnout und Depression herausbegleitet hat. Dabei gilt immer zu beachten, dass diagnostizierte schwerere Erkrankungen fachspezifische Therapie benötigen. MBSR kann indes ein heilsamer Begleiter für die Arbeit mit sich selbst sein, in Veränderungsprozessen oder im Umgang mit Widerständen oder Routineerlebnissen des eigenen Alltags.
Dan Harris beschreibt es in seinem Buch mit dem gleichnamigen Titel so launig, Mediation mache uns um rund 10% glücklicher. Seine Erfahrungsberichte sind amüsante Reisen ins Herz des amerikanischen Journalismus – und seine Beichte, wie er die Traumatisierungen seiner Karriere als Kriegsberichterstatter meditativ überlebt hat, gehören für mich mit zu den überzeugendsten Argumenten für die Methodik von MBSR. Er schreibt dabei lustig über das massive PR-Problem von Meditation („Assoziation: Panflötenbackgroundmusik“! „Die göttliche Mutter“!! „Nähere Dich Deinen Emotionen liebevoll und zärtlich“!!!) und streift einige der imposantesten Erkenntnisse neurowissenschaftlicher Forschung der letzten Jahre. Er versteigt sich allerdings auch in eher zweifelhafte Ideen (Meditation als das neue Koffein), um Marketing für MBSR mit Athleten und Managerinnen zu machen, also die absichtslose Praxis des Meditierens ganz amerikanisch einem Leistungs- und Optimierungsgedanken zu unterwerfen. Kurzum: „10% happier“ ist streitbar und lesenswert.

Embodiment und Resilienz
Wenn Jon Kabat-Zinn im Zusammenhang mit den Yogaübungen von re-bodying schreibt, so setzt er dabei eine bewusste Verbindungen zum re-minding, zum er-innern. Oftmals verlieren wir vor lauter Gedanken und geistiger Tätigkeit den Kontakt zum tatsächlich erlebten aktuellen Augenblick. „In dem einen oder anderen Sinn hat alles was wir im MBSR tun, mit re-bodying zu tun, dem Wiederherstellen der Verbindung zum eigenen Körper.“
Die einfachen Übungen des Bodyscans sowie das Erlernen verschiedener Meditationsansätze und sanfter Yogaabläufe stehen im Zentrum dieser Praxis, die über den Verlauf von acht Wochen eingeübt werden. So kann sich Resilienz einstellen, psychische Widerstandskraft, die uns Krisen gelassener gestalten lässt und mit ureigensten Ressourcen in Kontakt bringt. Boris Bornemann, Kopf und Stimme hinter der Achtsamkeit-App Balloon, zitiert in einer Live-Session im Februar 2021 eine Studie von Chiesa und Serreti, die bereits 2009 herausgefunden haben, die Kultivierung von Achtsamkeit reduziere Stress, Ängstlichkeit, Rumination und steigere Empathie und Selbstmitgefühl.
If you see RED, you can’t think of GREEN
Stresstheorien, die Erforschung von individuellem Stress und Angebote zur Beantwortung von Stress sind im MBSR-Programm implizit. Kurze Vorträge und Impulse zu aktueller Forschung auch im Bereich Neuroplastizität bereichern diesen Austausch. Der Gedanke, dass unser Gehirn sein letztes Update vor einigen 70.000 Jahren bekommen hat, ist oftmals Schock und Erkenntnis zugleich: Flucht oder Angriff (fight/flight-Modus) sind so eingeübte Reaktionen im Autopilot unseres Selbst, dass die simple Wahrnehmung, unter Angst und Druck wenig kreativ zu leben, gar nicht mal so einfach zu verstehen und zu integrieren ist. Die Wahrnehmungsverzerrungen, die unser Gehirn effektiv machen, richten sich gegen uns. Daniel Kahneman hat dazu geforscht. In „Schnelles Denken, langsames Denken“ trägt er diese kognitiven Fallen aufregend und lesenswert zusammen. Warum z.B. gerade negatives Denken lebenserhaltend scheint, genannt: negativity bias, Negativitätsverzerrung…
to be continued, z.B. im RBB-Interview.
0 Kommentare zu “Mindfulness”