Blog Kunst kommunizieren

Pfadfinder im Stadttheater

Mit Beginn der Intendanz von Joachim Lux setzte sich das Thalia Theater ein großes Ziel: Theater für die ganze Stadt zu sein. Das traditionsreiche Haus „für alle“ zu öffnen.

Seitdem nähren wir Internationalität und Interkulturalität im Zuschauerraum; genau dafür haben wir das Programm Thalia Migration entwickelt – im vollen Bewusstsein, dass wir alle bei den Worten Migrant und Migration zusammenzucken; dass die Begriffe, die immer wieder Ähnliches beschreiben sollten, in den letzten Jahrzehnten negativ konnotiert waren: vom Gastarbeiter zum Asylanten, vom Flüchtling zum Ausländer – und dass die wenigsten von uns und Ihnen im Alltag darüber nachdenken, wer wann von wo nach wo gewandert war, eingereist, emigriert oder immigriert ist – und sesshaft wurde.

Nach zwei Jahren stellen wir fest, dass der Name „Thalia Migration“, zuerst zwischen uns auch heiß diskutiert und skeptisch betrachtet, langsam eine andere Note, einen weicheren Klang bekommt. Die zunächst utopische und heroische Aufgabe, dem Wort „Migration“ einen neutraleren, wenn nicht vielleicht sogar positiven Bedeutungshorizont zu eröffnen, hat sich gelohnt.
Migranten, das sind nicht mehr nur Menschen mit Passproblemen, die auf der Flucht vor Hunger und Armut und immer mit einem Bein in der Illegalität sind. Vielmehr gehen wir von dem Bild aus, dass es sich um Menschen handelt, die bspw. als türkische Gastarbeiter vor 50 Jahren angeworben wurden, die deutsche Wirtschaft voranzutreiben – längst aber im Hanseatischen verankert sind. Und zudem: Wer von uns weiß schon, wo er hingeht und wo er bleiben wird? Wir alle träumen von Veränderungen und Entwicklungen in unseren Biografien – und nicht wenige machen den Traum vom Auswandern wahr. Und sind dann in Paris oder Sydney: Migranten.

Insofern haben wir unsere internationalen Gedanken und Ideen mit dem Programm Thalia Migration in ein vielfältiges Angebotspaket gebündelt: Für Menschen, die neu in eine Stadt kommen. Für Menschen, die die Sprache und Kultur kennen lernen wollen. Für Menschen, die sich in der Hamburgischen Gesellschaft verankern wollen. Für die, die längst schon Hamburger sind – und für solche die Hamburger werden wollen.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit kurz die wichtigsten Aktionen des Programms zu diesem Zeitpunkt, Anfang 2012, benennen:

Willkommen in Hamburg, Zuhause im Thalia – eine Einladung an die Neubürger, die wir zusammen mit dem „Welcome Center“ als einziges Hamburger Theater im Rathaus der Freien und Hansestadt Hamburg durchführen.
Aktion 500 – das sind fünfhundert von der Rudolf Augstein Stiftung geförderte Eintrittskarten für junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte – bis 18.
Abo International – inzwischen eine Gruppe von über 30 Menschen, die regelmäßig das Thalia Theater besuchen und ihre Freunde in den internationalen Commuities informieren.
Thalia Migration heißt Sie Willkommen – mindestens einmal im Monat bieten wir Gespräche mit unseren Dramaturgen zu ausgewählten Stücken für Menschen mit Zuwanderungsbiografie und deren deutsche Freunde. Ein „Schwellenabbauprogramm“, das durchaus Neid bei „Bio-Deutschen“ erzeugt…
Wir freuen uns darüber mit der Türkischen Gemeinde anlässlich des 50jährigen Jubiläums des Anwerbeabkommens näher zusammen gerückt zu sein. In Fortsetzung des Festivals „Goldene Hochzeit“ ist ein gemeinsamer Abend der Thalia Freunde und der Türkischen Gemeinde in Planung.
Weiterhin hoffen wir, dass uns dies auch mit immer mehr Communities im Urbanen Raum gelingen wird. Die ersten Gespräche mit der dänischen und polnischen Community haben stattgefunden und das Interesse an unserem Theater wächst stetig – wir arbeiten da von nun an meistens projekt- bzw. schwerpunktbezogen – so ist z.B. die Auseinandersetzung mit dem Stadtteil Altona aus der Perspektive der Dänen zentrales Thema der für den März terminierten Premiere „Die Verschwundenen von Altona“.
Im Mittelpunkt der Arbeit von Thalia Migration stehen natürlich auch die Thalia Pfadfinder, die sich Ihnen heute bereits in zweiter Generation vorstellen werden.
Einiges haben wir also geschafft.

Das Ende des bürgerlichen Theaters wird indes seit den 70er Jahren in Deutschland stets aufs Neue proklamiert. Doch zu einem Abschied von Theaterkunst und den städtischen getragenen Theatern hat das nicht geführt: Stattdessen etabliert sich eine immer wieder neue Theaterästhetik – sowie neue Formen der Kommunikation zwischen den Theatermachern und dem Publikum. Und um ein solches modernes Kommunikationsprojekt handelt es sich bei den Thalia Pfadfindern.
Ihr, liebe Pfadfinder Generation zwei, habt in neun Workshops auf der Grundlage von Text und Inszenierung – in diesem Jahr war das der deutscheste aller Klassiker, „Faust“ – das zeitgenössische Theater kennen gelernt.
Unser Anliegen war zuvorderst, dass Ihr das Theater als Ort der Debatten um Gesellschaft, Demokratie und Werte entdeckt. Weiterhin wollten wir Euch mit Fähigkeiten ausstatten, die Euch „einen guten Flug“ beim Beobachten des Festivals und dem Darüber-Schreiben ermöglichen. Denn wir sind neugierig auf Eure Fragen und Gedanken, auf Eure Auseinandersetzung mit uns und dem Themenkomplex „Theater und Migration“.
Wir freuen uns auf Eure Präsentation und im Namen des Thalia Theaters gilt unser Dank aus vollem Herzen den Ermöglichern dieses Vorhabens: Bereits im zweiten Jahr der Gesellschaft Harmonie von 1789 und dieses Jahr erstmals komplettierend der Alfred Toepfer Stiftung.

Rede von Jochen Strauch anlässlich der Präsentation der Thalia Pfadfinder, Generation II, am 19. Januar 2012

Der interkulturelle Theaterblog des Thalia Theaters

Das Programm ging 2014 noch breiter in die DNA des Hauses über, die Internationalisierung des traditionsreichen Hauses an der Binnenalster schreitet voran.

0 Kommentare zu “Pfadfinder im Stadttheater

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert