Was wir, oder zumindest ich, überzeugt als Erinnerung ausgeben – womit wir einen Augenblick, eine Begebenheit, einen Sachverhalt meinen, die einem Fixierbad ausgesetzt und so vor dem Vergessen bewahrt wurden -, ist in Wirklichkeit eine Form von „storytelling“, Geschichtenerzählen, das sich unaufhörlich in unserem Geist vollzieht und sich oft noch während des Erzählens verändert. Zu viele widerstreitende Gefühlsinteressen stehen auf dem Spiel, als dass das Leben jemals ganz und gar annehmbar sein könnte. Und möglicherweise ist es die Arbeit des Geschichtenerzählers, die Dinge immer wieder von Neuem so anzuordnen, dass sie für den Augenblick einen Sinn ergeben.
— William Maxwell, im Vorwort zu John Irvings Bis ich Dich finde. 2005
Unser Leben ist eine lange, verschlungene Kette von schwimmenden Inseln der Erinnerung, umspült von Vergessen, wir springen von der einen zu der anderen, hin und zurück, und wir sind Virtuosen darin, die Brüche mit Geschichten zu übertünchen, die den anderen und uns selbst ausgreifend und erfinderisch vorgaukeln, wir stünden auf einem festen Grund durchgängigen Erinnerns.
— Das Gewicht der Worte, Pascal Mercier. 2020
Schreiben heißt die Welt einatmen. Wir sind alle Geschichtenerzähler. Wir können nicht aufhören zu erzählen. Schreibend halte ich mich am Leben und überlebe. Jeden Tag wieder. Ich schreibe, um diese unglaubliche Gelegenheit, am Leben zu sein, ganz genau wahrzunehmen und zu feiern. Ich schreibe, um einen Sinn zu finden, obwohl es am Ende wahrscheinlich keinen gibt. In einem endlosen inneren Monolog erzählen wir uns Geschichten über uns selbst. Manche sind wahr, einige nur ein bisschen, andere überhaupt nicht. Wir alle sind Fiktion, aber das glauben wir nicht, weil wir uns mitten in ihr befinden wie in einem Fortsetzungsroman.
— Sätze aus Leben Schreiben Atmen, Doris Dörrie. 2019
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