Blog Nachdenken

NEW WORK in der Kunst

Führung und Ethik in der Kunst:

Wenn wir über ethisches Verhalten oder moralische Haltung im Kunstbetrieb nachdenken oder über Führung und Verantwortung, kommen vielen von uns zur Zeit als erstes die Fragen nach Gendergerechtigkeit und Diversität in den Kopf. Unsere Wahrnehmung kreist um #metoo und #equalpay, und das alles beschäftigt uns zu Recht. Mich treibt zudem ein Nachdenken über NEW WORK um, ein Reflektieren über eine andere Art, die Arbeit in den Künsten zu strukturieren und miteinander zu leben – auch und vielleicht sogar gerade weil die Zeiten in der Folge der COVID19-bedingten Shutdowns für Viele gerade großen Wandel initiieren.

Nicht nur in der Wirtschaftspolitik hört man bereits Stimmen, dass wir nach Corona nun nicht gleichzeitig Klima und Ökonomie retten könnten – und mich wundert das, denn: Wenn nicht jetzt, wann dann? Und hat Ökonomie, Corona und Klima nicht etwas miteinander zu tun? Wenn man eh schon Veränderungen anpackt und anpacken muss – warum dann nicht richtig? Wenn wir in Organisationsstrukturen von Kunstunternehmen so weitreichend über unsere Existenz nachdenken müssen, warum dann nicht auch gleichzeitig über tiefergehende Reformen nachdenken? Warum nicht die Ressourcen – menschlich, strukturell und ökonomisch – miteinander vernetzt denken? Wie stark widmen wir uns auch der Pflege unserer Ressourcen, bzw. dem bewussten, achtsamen Umgang mit unserer starken inneren Motivation und Leistungsbereitschaft? Der neugegründete Zusammenschluss vier supersäkularer Mindfulness-Coaches, Mindful Monkeys, bietet auch für die Künste zeitnahen Support beim Finden praktikabler Lösungsansätze.

Unfortunately, there is no Planet B.

Mythen von der Arbeit in der Kunst

Mein ganzes Leben konfrontiere und kämpfe ich mehr oder weniger offen mit absonderlichen Wahrnehmungen meines Berufsfeldes. Immer wieder stieß ich auf einen Kunstbegriff, der nett gesagt romantisierend, aber realistisch betrachtet katastrophal ist. Eine Mischung aus Jahrhundertwende 1899/1900, eine Phantasie zwischen „La Bohème“, „La Traviata“ und neoliberalem Zynismus: Weil der Beruf soviel Spaß macht, muss man ihn nicht gut bezahlen? Weil es Kunst ist, muss es unsicher und schlecht geheizt sein? Nur im Chaos gedeiht die Kreativität? Weil es Gesellschaft spiegelt, muss es außerhalb von Gesellschaft angesiedelt sein? Gedanklich verortet (zusammen mit Prostitution und Drogen und Migration) außerhalb der Gesellschaft – quasi am Rand, im Ostbereich der Stadt, da wo die Luft nicht so gut ist? Wir könnten jetzt weiter assoziieren, und ich habe den Satz diesletzt ernsthaft in der Kommentarspalte des SPIEGELS gelesen, weil Selbständige ja so viel verdienen könnten, sollen sie nicht jammern, wenn ihnen das Geschäft wegbricht, sie sollen einfach genug Rücklagen aufbauen. Also eine Art Bürgerkrieg zwischen Beamt*innen und Freelancern, zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen Enge und Weite? Inwieweit die Phantasien von der ICH-AG Gerhard Schröders da nachwirken, unserem nicht nur in Haarfarbe und Anzugwahl schillerndsten SPD-Kanzler der letzten 50 Jahre, das mag dahingestellt sein.

(Apropos Schröder: Vom Storytelling her kann man es auch nicht besser machen, dass die ebenfalls mit jener bahnbrechenden Agenda 2010 einhergehende Sozialreform bis heute den Namen des gleichfalls schillernden, Nuttenpartys verantwortenden Vorstands von VW – ja genau, die mit dem Dieselskandal – tragen. Hartz IV wartet wie COVID-19 auf’s Update oder den Impfstoff. Und soll in der Coronakrise die Lösung für Freelancer sein…? Diese gesamte Situation der Deutschen Arbeitsagentur – auch generell im Umgang mit Selbständigkeit – erweist sich als reformbedürftig.) 

Gedanklich würde ich den Bogen gerne schließen: Hat unsere fehlende Aufmerksamkeit für uns selber und unsere künstlerischen Produktionsstrukturen nicht zentral mit dem Fehlen von Lösungen für weiter reichende Probleme zu tun? Wenn schon nicht auf unsere Art zu Arbeiten und auf unsere Ressourcen aufpassen und Vorgänge behutsam reformieren, wie wollen wir dann nachhaltige, komplexeste Prozesse authentisch bewältigen?
Die verstorbene Kultursenatorin der Hansestadt Hamburg, Barbara Kisseler, hatte ein sehr geschätztes Gedicht von Brecht: „Ardens sed virens – Brennend, aber nicht verzehrt“…

„Poesie ist eine Art, die Gegenwart ganz Gegenwart sein zu lassen. Ein Mittel, die Zeit anzuhalten. Während des Lesens, des Betrachtens der Bilder oder des Hörens von Musik lässt man die Vergangenheit ruhen, nicht im Sinne des Vergessens, sondern des anstrengungslosen Loslassens, und man lässt sich von keinen angestrengten Erwartungen an die Zukunft die Gegenwart verstellen und verwischen. Die poetische Gegenwart ist wie herausgehoben aus dem Fluss und der drängenden Abfolge des zeitlichen Geschehens.“ — Pascal Mercier, Das Gewicht der Worte

NEW WORK

Der Begriff umfasst Vieles und ist besonders schön im Podcast von Michael Trautmann und Christoph Magnussen nachzuvollziehen, aber interessanterweise sind Theater, die Orte, die sich rühmen immer innovativ und ganz weit vorn dabei zu sein, mit diesem Thema nicht so vertraut. Bei der Umsetzung der ICH-AGs und Selbstausbeutung aus intrinsischer Motivation waren wir immer ganz weit vorne, auch aus den alten Mythen heraus: Künstler*innen müssen brennen. Nur, was machen wir, wenn in Zeiten von E-Mails und SMS jede Aufgabe sofortige Antwort erzeugt und neue Kreise zieht?

Vom Umgang mit Sitzungen, Mails und Handys

Der Schlafwissenschaftler Matthew Walker beschreibt, dass der moderne Wettkampf um ständige Präsenz und (Selbst-) Ausbeutung auf einer gefährlichen Illusion beruht: Ein überaktives Nervensystem aktiviert den Fight/Flight-Modus samt dem dazugehörigen sympathikonen Nervensystem, das bedeutet: Herzfrequenz, Blutfluss, Cortisolspiegel erhöhen sich. Eine chronische Aktivierung dieser Systeme, wie wir sie im unserer Branche eigenen Workolismus etablieren, führt zu Varianten von Schlaflosigkeit. Diese Insomnie verhindert, dass Amygdala und Hippocampus, also die Bereiche, die Gefühle und Erinnerungen verarbeiten, ihre Aktivität herunterfahren. Einfach gesagt: Wie bei einem Laptop, das trotz zugeklappten Deckels, weiterhin vor sich hin brummt, findet der Geist wenig Erholung. Wir alle kennen aus Beobachtung oder eigenem Erleben Phasen, in denen sich diese Prozesse einstellen oder Kolleg*innen, die sich rühmen weder Schlaf noch Erholung zu brauchen. Und die Nutzung der digitalen Kommunikationsmittel ermöglichen in manchen Branchen eine Illusion und manchmal auch den Anspruch einer 24/7 Einsatzbereitschaft und Leistungs-(Leidens-) Fähigkeit.
Was hat das jedoch mit kreativer Arbeit und intrinsischer Motivation zu tun?

Helden der Arbeit: 24/7 im Dienste ihrer Majestät?

Es gibt so viele gedankliche Ansätze in der Organisation von Wirtschaftsunternehmen, wovon erstaunlich wenig im Inneren der innovativen Vorreiter für gesellschaftliche Veränderungen, aka Theater, ankommen; z.B. spricht man offen über den Stress in Sitzungen, von der puren Dauer mancher Zusammenkünfte, der Effizienz der Organisation oder vom Mansplaining? Was sind Eure Erfahrungen dazu? Haben die modernen Kommunikationsmittel unser Leben leichter gemacht? Welche Transfers aus der Wissenschaftsforschung könnten unser Leben leichter machen? Ich kann spontan beitragen: Wann sind Sitzungen zu lang? Spätestens wenn man abschweift, dass man die Thrombosestrümpfe vom letzten Amerikaflug hätte anziehen sollen…

Interviews mit Kolleg*innen

EINS

Karla Mäder, Graz
15. Juli 2020

Karla, Du arbeitest Dein Leben lang ohne Handy? Wie hat das Deine Art zu arbeiten und zu leben beeinflusst?

Keine Ahnung! Ich weiß ja nicht, wie es ist, wenn man ein Handy hat. Ich brauche für meinen Seelenfrieden wohl einfach das Gefühl, ab und zu nicht erreichbar zu sein. Ja klar, man kann das Handy ausschalten. Aber ich kenne mich und weiß, dass mir das sehr schwer fallen würde. Ich empfinde mein Leben jetzt auch nicht als super entspannt oder unkommunikativ. Was ich allerdings merke: Ich scheine mein Umfeld zu einer altmodischen Verbindlichkeit zu zwingen, was Termine und Verabredungen anbelangt. Das finden die meisten erst mal komisch, dann aber oft angenehm und entspannt. Ich warte auch klaglos auf Leute, die sich verspäten – so wie früher! Nachdem ich lange für meine Sturheit belächelt wurde, höre ich indes zunehmend, wie beneidenswert es sei, kein Handy zu haben. Natürlich verzichte ich ein stückweit auf Komfort, und vielleicht ist mein Leben altmodischer als das anderer Menschen, aber ich glaube, mittlerweile merken viele, wie sie das Privileg größerer Bequemlichkeit mit permanenter Erreichbarkeit und Dekonzentration bitter bezahlen. Zur Ermutigung an alle, die damit liebäugeln, ihr Handy abzuschaffen: Es gibt pro Jahr null bis zwei Situationen, in denen ein Handy mir wirklich helfen würde. Und in diesen habe ich bisher ich immer jemanden gefunden, der eins hatte.

Was ist das Geheimnis effektiver Kommunikation?

Darüber müsste ich noch mal nachdenken. Spontan würde ich sagen: Das wäre ein dem angestrebten Endergebnis angemessener Weg, das zu vermitteln was man meint und der eine Handlung entstehen lässt, die wenig weiteren Kommunikationsbedarf nach sich zieht – abgesehen von Erfolgsmeldungen vielleicht. Gerade im Theater denke ich, dass auch die Abschweifung, das Persönliche, das Unstrukturierte in der Kommunikation zu einem guten Ergebnis beitragen können und sollen. Mit andern Worten: Effizienz im Sinne von „Auf-das-Nötigste-beschränkt“ ist etwas, das ich schon immer dubios fand. Ich glaube auch an die Kraft der Ineffizienz, die meines Erachtens in meinen Beruf die heimliche Hauptrolle spielt, weil sie dem Zufall und der Überraschung die Tür öffnet.

Wie gehst Du mit der Flut immer weiter steigender digitaler Kommunikation um?

Ja, das ist ein schwieriges Thema. Ich bin leider so strukturiert, dass ich versuche alles ernst zu nehmen und alles zu lesen und möglichst auch zu verstehen. Lange Texte muss ich sowieso ausgedruckt lesen, sonst macht es mir keinen Spaß, schon das ist sowas von blöd! Ich bin also, wie beim Telefonieren auch, darauf angewiesen, dass Menschen meine Macken verstehen und respektieren und mich beispielsweise nicht allzu sehr beballern mit Mails.

Room with a view: Karlas Schreibtisch in Graz.

Hast Du einen Tipp für gelingende Meetings?

Eine Sitzung sollte meiner Meinung nach Gelegenheit geben, die Stimmung der einzelnen Teilnehmer zu erfahren, allgemeine Informationen auszutauschen, zu denen auch Freuden und Ärgernisse aller Art gehören dürfen, so dass alle auf dem gleichen Kenntnisstand sind und schließlich die kollektive Schwarmintelligenz anzuzapfen, um anstehende größere Aufgaben und Probleme gedanklich zu bewältigen bzw. in kleinere Unteraufgaben zu zerlegen. Die Arbeit fängt dann ja erst nach der Sitzung an. Das Wichtigste ist also, dass die Sitzung halbwegs Spaß macht und sich nicht wie verlorene Lebenszeit anfühlt … Basis ist, dass derjenige, der die Sitzung leitet, wirklich gut vorbereitet ist, so dass sich am Ende alle einerseits entlastet fühlen und andererseits wissen, was zu tun ist. Die Vorbereitung kostet meiner Erfahrung nach richtig viel Zeit, muss aber sein. Bei uns ist es so, dass ich meist die Grobstruktur mache, aber alle Kollegen im Netzwerk auf die Themenliste zugreifen  und ihre Punkte reinschreiben können. Wir schreiben auch dazu, wie viel Zeit der einzelne Themenpunkt voraussichtlich benötigt, denn das diszipliniert ungemein. – Karla Mäder ist derzeit Chefdramaturgin des Schauspielhauses Graz. Mehr von ihr im Making-of der DSE von Lot Vekemans.

ZWEI

Marco Barsda, Berlin
27. Juli 2020

Marco, Du leitest das Kommunikationsteam der Stiftung Stadtmuseum Berlin. Welche Erfahrungen hast Du für Dich umgesetzt, um z.B. Meetings effektiv zu machen?

Zunächst sollten sich alle Teilnehmenden über den Sinn und Zweck der Sitzung im klaren sein: Ist es ein Team-Meeting, das aktuelle operative Probleme angeht und daraus klare To-Dos ableitet? Oder sind wir in einer strategischen Sitzung, die allgemeine und strukturelle Fragen der mittelfristigen Zukunft anschaut? Und sind die Zusammensetzungen der Personen und Themenfelder klug gewählt? Dazu natürlich Tagesordnungspunkte sowie eine straffe Moderation mit einer weiteren Person für das Protokoll. Das klingt vielleicht etwas banal, aber all diese Punkte können mit der Zeit verschleißen und man verliert schnell die Orientierung. 

Wann ist eine Sitzung Deines Erachtens geglückt?

Wenn alle danach die Zeit als sinnvoll verwendet ansehen, wissen wie sie nun weiterarbeiten können und die Sitzung nicht als zusätzliche Belastung begreifen. 

Wie wichtig ist die Verbindung in die Programmgestaltung?

Diese Verbindung, also die aktive Zusammenarbeit von Programm und Kommunikation, ist aus meiner Sicht für Kulturbetriebe immanent wichtig. Es geht nicht darum, die Programmgestaltung marktorientiert und wettbewerbsfähig zu gestalten, sondern von vornherein gemeinsam darüber nachzudenken, für wen man programmiert und wie diese Personen zu erreichen sind. Das Publikum ist von Beginn an mitzudenken! 

Kann man sich immer wieder in dieser Marathonarbeit regenerieren?

Ich fürchte, da ist jeder und jede zum großen Teil auch selbst gefragt, Überlastung frühzeitig anzuzeigen und einen „Pegelstand“ zu melden. Dafür braucht es gegenseitiges Vertrauen, was sicherlich zu guter Zusammenarbeit gehört. Als Abteilungsleitung versuche ich immer im engen Kontakt mit allen Kolleg*innen zu schauen, dass der Workload bei niemandem überhand nimmt und nach Flut auch wieder Ebbe kommt, also dass beispielsweise Überstunden schnell abgebaut werden können. Und dann liegt die Regeneration natürlich im Privaten, wo man Arbeit hinter sich lassen können muss. Wenn das nicht (mehr) geht – und das erlebe ich im Kulturbereich leider oft, weil hier persönliche und berufliche Interessen meist verwischen – kann es gefährlich werden, da sollte man auf sich aufpassen und sich fragen: Was ist mir eigentlich gerade wichtiger? 

Wie hast Du das für Dich gebaut? Was bedeutet Work/Life-Balance für Dich?

Immer wieder Momente finden, die rein gar nichts mit dem Beruflichen zu tun haben. In meinem Fall ist das Yoga und Laufen oder Ausflüge ins Grüne mit Freund*innen, andere Städte besuchen oder spannende Serien auf dem Sofa schauen. Aber auch Theater- und Museumsbesuche gehören für mich natürlich dazu. In jedem Fall sollte die Arbeit Spaß machen und man braucht dort Erfolgserlebnisse. Denn ich fürchte, dass ein Job, der dich unglücklich macht, in einer Work/Life-Balance gar nicht ausgeglichen werden kann. Getreu dem Motto “Love it, change it, or leave it”, sofern es denn möglich ist. 

Pandemisches Büro, Berlin 2020.

Gibt es Momente, wo Du das Digitale am liebsten ausschalten möchtest? Tust Du es?

Seitdem ich nicht mehr aktiv berufliche Social Media Kanäle betreue, fällt mir das ausschalten bedeutend leichter, aber so ganz digital detox fällt mir hingegen schwer. Da komme ich eigentlich erst nach mehreren Tagen Urlaub rein. Ansonsten kenne ich wenige Momente, in denen ich das Digitale komplett ausschalten möchte, denn ich will halt auch immer gerne wissen, was los ist. Worüber spricht man in der Stadt und welche (kulturellen) Events sollte ich nicht verpassen? 

Marco Barsda studierte Kulturwissenschaften Ästhetische Praxis sowie Kulturvermittlung an der Universität Hildesheim, er arbeitete am Thalia Theater mit mir zusammen bevor er ins Team von Chris Dercon als Digitalspezialist an die Volksbühne wechselte. Im direkten Anschluß war er Referent der Intendanz am Theater in der Parkaue und ist nun fest angestellt bei der Stiftung Stadtmuseum Berlin als Leitung der Kommunikationsabteilung. Seine Krisentoleranz ist ebenso groß wie sein Humor. 

DREI

Christian Berner, Zürich
29. Juli 2020

Christian, ein so komplexer Ort wie ein Opernhaus konfrontierte sicher Herausforderungen in den letzen Wochen und Monaten. Du hast oftmals im Schweizer Fernsehen die Situation beschrieben. Gibt es irgendetwas in dieser Zeit des Lockdowns, dieser digitalen Welt der Arbeit 4.0, was Du als Impuls für die Zukunft bewertest? 

Ehrlichgesagt nein, ich kann dem Virus oder besser dem Lockdown und der viel beschworenen Entschleunigung nichts Positives abgewinnen. Ich habe diese Phase auch nicht so erlebt, sondern als eine besonders anstrengende Zeit. Es gibt leider gar nichts was ich aus dieser mühsamen Zeit für die Welt nach Corona beibehalten möchte. Aus folgenden Gründen: Oper ist in jeder Hinsicht eine „grosse“ Kunstform, die mit Corona nicht kompatibel ist. Die Oper lebt in der klassischen Form, die wiederum eine große Anziehungskraft in unserem Haus erzeugt, von vielen Menschen und Mitwirkenden, von Nähe und Emotionalität, von Drama und grossen Gefühlen – das funktioniert im großen Format mit den speziellen Vorgaben bis hin zu notwendigen Einschränkungen des Social Distancing nicht so attraktiv. Von den vielen digitalen und virtuellen Ersatzangeboten und reduzierten Formaten hat mich persönlich keines wirklich (und auch finanziell nachhaltig) überzeugt. Wenn Corona etwas bestätigt hat: Oper muss live erlebt werden und vielleicht liegt darin dann doch etwas Positives an dem Erleben der Zeit ohne das sinnliche „Erlebnis Oper“ – unser Publikum vermisst uns. Eine Leerstelle wird spürbar. Das Virus hat quasi die Kunstform in seiner ganzen Opulenz neu legitimiert und begründet. Man kann Oper nicht digitalisieren, verkleinern oder verstümmeln, dann funktioniert diese Kunstform nicht mehr in der vollen Entfaltung.

Opernhaus Zürich, est. 1891, Platz für 1.100 Zuschauer*innen.

Und planerisch: In der internationalen Oper haben wir mittlerweile Planungshorizonte von 3-4 Jahren und auch das ist mit Corona nicht in Einklang zu bringen, wo sich die Situation fast täglich verändert und man extrem kurzfristig reagieren muss. Das Virus zwingt einen langfristig agierenden Betrieb zu Flexibilität. Dies führt jedoch letztlich nur dazu, dass über Jahre geplante, tolle Projekte nicht realisiert werden können. Und selbst Ersatzproduktionen geraten ständig in Gefahr. Von Kosten und Einspielergebnissen haben wir jetzt noch gar nicht gesprochen.

Christian Berner ist seit 2013 Kaufmännischer Direktor des Zürcher Opernhauses. Er ist studierter Ökonom (St. Gallen) und Executive Master in Arts Administration (Zürich), seine Leidenschaft für die Kunstform Oper ist schier unbegrenzt.

VIER

Jan Bosse, Berlin
15. August 2020

Jan, Du arbeitest seit mehr als 20 Jahren freelance und bist gut etabliert im Theatergeschäft – wie hast Du den Lockdown und COVID-19 erlebt?

Für einen Moment tat es mir sehr gut, dass das theatralisch und gesellschaftliche Hamsterrad mal anhielt. Plötzlich wurden viele Leute nach vielen Jahren Vollgas mal dazu gezwungen, innezuhalten und ein bisschen größer und grundsätzlicher zu denken. Aber ich bin mir meiner sehr privilegierten Situation bewusst, bei mir sind zwar Projekte verschoben, aber keins abgesagt worden. Wer unter dem lockdown wirklich existenziell zu leiden hatte, konnte die erzwungene Ruhe wohl eher nicht genießen..

Welche Aspekte von NEW WORK haben Dir gefallen? 

Für Vorbereitungsgespräche und meetings im Team fand ich die virtuellen Konferenzen eine echte Entdeckung. Bühnenbegehungen und Bauproben allerdings bleiben unbefriedigend – sowohl das Raumgefühl als auch die direkten Begegnungen vor Ort sind essentiell. Aber ich hoffe sehr, dass grade bei Flugreisen ein paar Konsequenzen aus den gemeinsamen Erfahrungen gezogen werden!

Statt „Falstaff“ jetzt „Warten auf Godot“ in Köln.

Welchen Aspekt von Proben und Vorbereitungen gehen digital? Auch unter dem Gedanken der Klimaveränderung.

Echte Proben gehen nur analog, live, wenn die Körper sich begegnen. Theater ist ein gesellschaftliches Ereignis, sowohl in den Proben als auch später mit dem Publikum. Und: Theater hat einfach auch viel mit Körperflüssigkeiten zu tun – also alles, was grade verboten ist.

Wenn Du über Work/Life-Balance nachdenkst: Wie gestaltest Du ein balanciertes Leben?

Zeit, Zeit, Zeit – sowohl für die kreative Arbeit als auch für das Leben, das Private, die Familie, die Pausen, den Müßiggang, das Lesen, das Nachdenken. Das klingt immer wie zwei oder drei Leben – wie man das in einem Leben schaffen kann, versuche ich seit ein paar Jahrzehnten herauszufinden.

Jan Bosse debütierte im Stadttheaterbetrieb 1998 an den Münchner Kammerspielen mit Marius von Mayenburgs „Feuergesicht“, ich war sein erster Assistent. 2000 waren wir beide am Hamburger Schauspielhaus unter Vertrag. Jan arbeitet ohne Unterlaß in Wien, Zürich, Köln, Hamburg und an vielen weiteren Orten über den deutschsprachigen Raum verteilt. Zu dieser besonderen, aktuellen Situation als Regisseur hat er Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung ein aufschlussreiches Interview gegeben. 

FÜNF

René Pollesch, Berlin
17. August 2020

Ulrich Seidlers Sommerspecial über die Berliner Theater und COVID-19 präsentiert ein sehr besonderes, lesenswertes Interview über René Polleschs Ansatz, die Volksbühne u.a. mit Träger*innen der Intendanz zu denken. Viele aufregende Gedanken zum Theater heute.

SECHS

Iris Laufenberg, Graz
17. September 2020

Iris, ich erlebe in Graz, dass ihr Euch viele Gedanken darüber macht, wie man kreativ, künstlerisch und auch sozial mit dem Wandel in der Arbeitswelt in unserem Metier umgeht. Wie würdest Du diesen Wandel beschreiben?

Als ich nach meinem Studium als Assistentin der Bonner Biennale 1991 am Theater anfing zu arbeiten, war es üblich, von morgens bis spät am Abend im Theater und damit sozusagen immer persönlich ansprechbar zu sein. Handys gab es noch nicht. So gesehen hat sich also nichts verändert, denn heute gilt es ja auch, rund um die Uhr erreichbar zu sein. Und ich erinnere mich, dass ich das früher einen unaushaltbaren Zustand fand. Finde ich heute auch, ist mir nur gar nicht immer so bewusst, weil ich automatisch (fast) immer erreichbar bin. Das Handy ist noch nicht einmal in der Nacht ausgeschaltet. Das muss ich unbedingt ändern …

Hast Du in der Zeit des Corona-Lockdowns einen anderen Umgang mit der eigenen Zeit kennengelernt, den Du bewahrenswert findest?

Grundsätzlich muss heute jede und jeder individuell für sich herausfinden, wie er oder sie die Arbeitszeit am Theater gestaltet, damit auch satte (jaahaha!) Zeiten der Erholung gut genutzt werden können. Das ist aber ein schwieriger Prozess, weil man sich selbst Grenzen der Belastbarkeit setzen muss und der Druck der Selbstoptimierung und auch die Motivation des einzelnen oft so groß sind, dass diese Grenzen oft nicht so leicht auszuloten sind. – Und während ich diese Zeilen mit meinem vom Handywischen überlasteten Tennisarm tippe, denke ich: Warum um Gottes Willen hast du Jochen zugesagt, seine Fragen zu beantworten und liest hier im Zug auf dem Weg nach Magdeburg nicht einfach mal ein echtes Buch, das du auch mit der linken Hand halten kannst? – Ja, weil es ja um das interessante, wichtige Thema „Burnout“, Selbstausbeutung und New Work geht. Genau das ist das Problem: Immer gibt es in unserer Arbeit etwas äußerst Spannendes. Und wir wollen ja auch Mitwirken an gesellschaftlichen Veränderungen und sie nicht bloß abbilden mit unserer Arbeit im und am Theater.

Wie kommunizieren wir über unser Theaterprogramm hinaus unsere Haltung in eine Stadt? Lohnt es sich, Utopien nicht nur zu postulieren,sondern sie auch vorzuleben?

Unbedingt! Wir arbeiten z.B. gerade an einer Nachhaltigkeitsstrategie für die ökologischen, ökonomischen und sozialen Belange des Theaters, mit der wir uns diese und die kommenden zwei Spielzeiten beschäftigen wollen. Zu Recht beschäftigen sich gerade viele Unternehmen damit und im Theater, das ja eigentlich für Luxus und Überfluss steht, kommt das Thema jetzt auch an. Für mich ist es selbstverständlich, dass wir probieren, so gut es geht in unserer Institution Prozesse strukturell zu verändern, um nachhaltiger zu arbeiten, vielleicht sogar Dinge verbieten – oder einfach nur mit gutem Beispiel vorangehen.

Kriegen wir das im laufenden Betrieb hin, Treffen virtuell zu gestalten? Wird das effektiver? Wie halten wir Meetings kurz und produktiv?

Ich hoffe, dass wir das auch weiterhin hinkriegen, um damit auch Reisen und insbesondere Flüge zu sparen! Teilweise gelingt das schon ganz gut. Zum Beispiel macht unser Ausstattungsleiter Kostümabgaben nur noch per Video. Ich selbst bin im Vorstand der ETC (European Theatre Convention) und begrüße es z.B. sehr, dass unsere regelmäßig stattfindende Vorstandssitzung jetzt auch per Video abgehalten wird, was das Ganze natürlich um ein Vielfaches effizienter macht. Natürlich ersetzen Videokonferenzen nicht den persönlichen Kontakt, den wir Menschen als soziale Wesen hin und wieder brauchen, aber den können wir ja gut begründet trotzdem pflegen. Anlässe zum Reisen gibt es auch weiterhin mehr als genug.

Hat Homeoffice Vorteile? Nachteile? Was ist Dein wichtigster Trick, um Zusammenarbeit über große Distanzen gelingen zu lassen?

Wie alles hat auch Homeoffice Vor- und Nachteile. Den privaten Rückzugsraum mit Arbeit zu „belasten“ ist sicher nicht nur von Vorteil, insbesondere, wenn Menschen auch noch Kinder betreuen müssen oder eben keine großen Wohnungen mit Arbeitszimmern haben. Im Idealfall ermöglicht einem das Homeoffice ablenkungsfreie Konzentration, die in meinem oft von vielen Terminen, Gesprächen und Entscheidungen geprägten Alltag Mangelware ist. – Einen Trick gibt es wohl nicht, um Zusammenarbeit über große Distanzen gelingen zu lassen, nur gute Kommunikation …

Apropos erneuerbare Energien: Können wir eine work-life-balance in der Kunst überhaupt leben? Was bedeutet Nachhaltigkeit im Theater?

Die Eigenverantwortlichkeit ist bei diesem Thema das allerwichtigste, denn es sagt einem niemand:Geh jetzt nach Hause“. Mir eh nicht. Und wenn ich das aus Fürsorgepflicht erschöpften Kolleg*innen sage, dann hören sie nicht auf mich, weil dies oder das eben noch nicht erledigt ist. Und von den Proben steht man auch nicht einfach auf, weil sich Erschöpfung breit macht. Ich finde, der Perfektionsdrang ist größer geworden, allerdings sind die Rahmenbedingungen im Vergleich zu früher auch besser geworden. Die Kolleg*innen erwarten gegenseitig eigentlich gar nicht, dass man immer da ist, sondern dass gut kommuniziert wird, wann was wie und mit wem geplant ist. Denn darum geht es doch, dass wir gemeinsam eine möglichst kreativ gestaltbare Zeit in festgesetzten Rahmen zur Verfügung haben. Im besten Fall haben wir gemeinsame Ziele, die wir, uns gegenseitig inspirierend, auf ganz unterschiedlichen Wegen verfolgen. Das allerwichtigste am Theater ist, dass wir in angstfreien Räumen arbeiten können, denn Angst ist der größte Kräftekiller.

Iris Laufenberg und ich trafen uns (mutmaßlich) erstmals Mitte der 90er bei einem der ersten Auftritte der Geschwister Pfister auf der Bonner Biennale, die sie damals kuratierte. Danach war ich 2003 beim Internationalen Forum Junger Bühnenangehöriger des Theatertreffens in Berlin; Iris leitete das Theatertreffen (samt Stückemarkt zeitgenössischer Dramatik) über zehn Jahre. Danach war sie Intendantin am Schauspiel der Schweizer Hauptstadt Bern und ist seit 2015 Intendantin des Schauspielhauses Graz. Neben dieser Leidenschaft für neue europäische Dramatik und für internationale Koproduktionen, hinterfragt sie sich und den Betrieb, der uns umgibt, immer wieder neu und kritisch auf die eigene Wirksamkeit und das politische und utopische Potenzial von Theater.

Iris‘ Büro in Graz, September 2020.

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