Blog Kunst kommunizieren

Making-of Niemand wartet auf Dich

Logbuch #SHUTDOWN

Wir wollten mit den Proben vom 14. April – 14. Mai 2020 starten und erste try-outs im Grazer Rathaus beim Dramatiker*innenfestivals im Juni ausprobieren, um dann im September Premiere zu feiern. Dann kam Corona. Und so wurde der Arbeitsprozess ganz anders. In diesem Logbuch schreiben wir alle miteinander von unseren Erlebnissen, zu entdecken in unterschiedlichsten Themeneinheiten aus unterschiedlichen Perspektiven. Wer chronologisch lesen will, muss mittlerweile ganz schön scrollen. Wir freuen uns über Kommentare und eigene Erlebnisse mit der Theaterarbeit im Shutdown und auf dem Weg raus! – Jochen Strauch

Deutschsprachige Erstaufführung am 22. September 2020, mehr Termine in Planung.
Auszüge aus den Kritiken hier. Zugang zur Verfilmung mit Passwort bei mir per Mail bestellen.

VIERUNDDREIẞIG

Die letzte Vorstellung
15. März 2023

Fast genau drei Jahre ist es her, dass diese phantastische Reise mit so vielen tollen Kolleg*innen begonnen hat, mitten in der Pandemie, mitten im ersten Lockdown, digital, und dann unverhofft im frühen Herbst 2020 live und im Schutz der ersten großen PCR-Testungen im Schauspielhaus Graz, mit einer rauschenden Premiere. Und heute: Dernière in Graz!

DREIUNDDREIßIG

Die ersten Gastspiele in Rathäusern der Steiermark
19. September 2021

Ab 15. November können wir endlich reisen und den Realitycheck angehen! Ich werde vor Ort sein und dieses allererste Tourerlebnis samt Diskussion (mit Politiker*innen) begleiten!

ZWEIUNDDREIßIG

8. Mai 2021
Zu Gast bei European Theatre Convention und DRAMA|TIK|ER|INNEN|FESTIVAL

Die Zeichen stehen auf Neustart. Und auf die eine oder andere Weise sind wir alle wieder (oder immer noch) dabei, Projekte vorzubereiten, einzufrieren, aufzutauen, zu digitalisieren oder anzupassen und jetzt könnte, vielleicht, vielleicht unser Theaterleben bald wieder live vor Ort mit Publikum im selben Raum stattfinden. Die European Theatre Convention widmet die kommenden Wochen dem Gedanken der Renaissance. Eine hoffnungsvolle Perspektive, wie ich finde, die ich von Herzen empfehle. Vom 10.-12. Juni findet die jährliche Konferenz live und online in Graz statt und parallel vom 8.-13. Juni das DRAMA|TIK|ER|INNEN|FESTIVAL, bei dem auch unsere Produktion „Niemand wartet auf Dich“ live und online zu sehen sein wird: Am 4./5. Juni 2021 um 20 Uhr und am 10. Juni 2021 live und online mit englischen Untertiteln um 19 Uhr.

EINUNDDREIßIG

24. Januar 2021
Niemand wartet auf Dich, verfilmt

Die Geschichte dieser Arbeit ist immer noch nicht zu Ende! Kurz vor dem zweiten großen Lockdown haben Karla Mäder und ich über eine digitale Fassung gebrainstormt, die Idee war, dass ich schnell noch mal vorbei komme und wir das machen – das war im Rahmen der Europäischen Pandemiebekämpfung nicht mehr möglich. Und dann hat Karla es gemacht, kurz bevor alles wieder dicht machte, hat sie in wenigen Tagen eine digitale Version unserer Arbeit mit Susanne geschaffen, auf die ich sehr stolz bin. Teilweise zuhause gedreht, und mit viel szenischen Einfällen für die Kamera aufgelöst. Das Theater bietet diese Version aktuell für Gruppen mit einem ausgeklügelten Nachgesprächskonzept an. Nicht nur als Alternative im Homeschooling sondern auch für Theater gemeinsam zuhause mit Freund*innen per ZOOM.

DREIßIG

Berühmte letzte Worte
28. September 2020

Der Regisseur hat mich gebeten, abschließende Worte zu schreiben und ja, das mache ich natürlich gerne. Allerdings ist für uns innerhalb des Betriebs natürlich eine Premiere kein Abschluss, sondern im Gegenteil: der Anfang von etwas Neuem. Ab jetzt will das Stück für die Vorstellungen vollgemacht werden und irgendwann wird es auch als mobile Vorstellung in die Gemeinden der Steiermark verkauft werden. Außerdem hatte Iris Laufenberg am Tag nach der Premiere die Idee, die Inszenierung in einer 45-Minuten-Version zu verfilmen, weil unsere Theaterpädagogik Angebote für Schulen schaffen will, denen es derzeit nicht möglich ist, zu uns ins Theater zu kommen. Und hier bietet sich über das Thema des Stücks mit den Methoden der Theaterpädagogik an, in einem Nachgespräch demokratisches Miteinander einzuüben. Bevor es soweit kommt und Jochen ev. Mitte November noch einmal nach Graz kommt, um mit Susanne und dem Schauspielhaus Graz die Verfilmung in Angriff zu nehmen, ist noch eine Menge zu tun: von der Location-Suche bis zur Abklärung rechtlicher Fragen. Also, vielleicht gibt es hier bald eine Fortsetzung auf dem Blog … – Karla Mäder

NEUNUNDZWANZIG

The Day After
23. September 2020

So happy, so proud, so erfüllt! Wir hatten eine tolle Premiere, im ganz kleinen „Corona-Kreis” und das war auf eine eigenartige Weise ganz intim und dicht und direkt.
Natürlich ist es auch schade, dass nicht mehr Menschen unsere Premiere sehen konnten, aber das kommt auf jeden Fall noch, denn diesen Abend möchte ich gerne mit ganz vielen ZuschauerInnen teilen! Und Corona wird irgendwann hoffentlich nicht mehr der bestimmende Faktor in unserem gesellschaftlichen Leben sein und es werden irgendwann wieder mehr Leute ins Theater kommen dürfen!
Ich freu mich jedenfalls sehr auf die kommenden Vorstellungen und bin dankbar für diese außergewöhnliche Zusammenarbeit, die im digitalen Raum begonnen hat und die wir gestern Abend im realen Raum leibhaftig zeigen konnten. – Susanne Konstanze Weber

ACHTUNDZWANZIG

The Day Before
21. September 2020

Ein Radiointerview auf ORF Steiermark zur Ankündigung mit uns.

Unsere letzten Tage – bis zur Premiere: Aufregende tryouts, Konzert und erfüllte Debatten!

SIEBENUNDZWANZIG

Die letzte Woche
18. September 2020

Die Anreise zurück nach Graz war turbulent, im Flieger wurde ausgiebig von einem Mitreisenden ohne Maske geniest und gehustet – zum Glück gab es auch diesmal ein paar Tage später wieder einen COVID-19-Test.

Die Entscheidung ist nach einem letzten Versuch gefallen: Wir haben einmal komplett ohne Spiegel geleuchtet und es dann noch einmal mit angeschaut.

Wir haben uns in den ersten Tagen gegen die Spiegel entschieden. Der Kontakt ist direkter und das Licht hat eine höhere Konzentration. Schon zur HP NULL waren erste Test-Zuschauer im Raum. Wir konnten seitdem täglich in tryouts unsere Konzeption der direkten Kommunikation immer wieder überprüfen, beglückend. Wir haben an dem abschließenden Nachgespräch gefeilt und immer wieder Details weiter gearbeitet.

Licht, Ton, Raum – immer weiter, teilweise neue Musik ausprobieren, die Details immer genauer anpassen. In fünf Tagen ist Premiere.

SECHSUNDZWANZIG

Bei Licht betrachtet
6. September 2020

Wir haben zwei Wochen am Stück durchgearbeitet, Körper, Text, Figur, Szene, Sprache, Gedanke, Gefühl, Verortung, Situation, innere und äußere Vorgänge durchgeackert und unsere gesamte digitale Vorarbeit in die Realität übertragen. Unglaublich luxuriös: Im Originalraum, mit vielen Kleidungsdetails und nun eine Woche lang mit dem ganzen Team an Bord und vor Ort. (Ein Aspekt fehlt noch: Zuschauer. Bei einem Stoff, der wie ein ausdauerndes Gespräch, eine aus der Reflektion mit dem Publikum entstehenden Erzählung, gebaut und gearbeitet ist, ein durchaus zu berücksichtigender Faktor.)

Alle an Bord. Nach der Pooltestung sind nun auch Lot & Matthias negativ getestet und wir sind endlich alle live zusammen. Eine gute Herangehensweise in Graz: eigene Verantwortung, Abstand, Maske und Test am Arbeitsplatz. Die Spiele können beginnen! – 2. September 2020

Und permanent betreut von „unserer“ Technikerin: Ruth. Die schon in den ersten Tagen fragte, ob wir schon ein bisschen einleuchteln wollen. Zum Ende der zweiten Woche haben wir es getan. Und der spontan hinzugefügte Spiegel, der aus einer anderen Produktion zur Verfügung gestellt werden konnte, macht die diesem Material üblichen Probleme: Einfallwinkel von Licht, Blendeffekt auf bestimmten Plätzen etc. Wir haben das einmal so durchgeleuchtet und diese Idee, dass wir uns von Anfang an mit auf der Bühne befinden, dass wir ständig auf uns zurückgeworfen wird, dieser Effekt, dass das Motiv des Triptychons sich durch die Spiegelung immer einer Dreiteiligkeit der Figur abbildet, dass Umzüge und Umbauten spannend aussehen und viel ermöglicht wird, hat beim ersten Blick im Licht einen entscheidenden Haken: Susanne sieht das Publikum nicht mehr… Und es entsteht eine eindeutige und auch schützende Trennung von Bühne und Zuschauer… Jetzt erst mal: Kurze Pause. (Ich muss nach Berlin und eine COVID-19-Fassung von Dschabber erarbeiten.) Am 14. September beginnt in vielen tryouts mit Publikum die Endprobenphase.

Zwei Wege: Wir leuchten in dieser Konzeption nach und holen den maximalen Kontakt zum Publikum raus. Oder wir stellen es, wie ursprünglich geplant, in die Black Box. Die Spiegel waren uns u.a. auch deshalb in den Sinn gekommen, weil das Stück ja immer in einem Umraum, in einem Repräsentationssaal oder Parlament oder Sitzungszimmer gespielt wird, weil immer ein Bezugsrahmen vorhanden sein wird… – 4. September 2020

FÜNFUNDZWANZIG

Die erste Woche
30. August 2020

Verrückt, dass nun schon die ersten Tagen wieder rum sind – und wieviel wir von den digitalen Proben in „die Wirklichkeit“ transferieren konnten. Man hatte das natürlich gehofft, aber dass tatsächlich so viel durchdacht und angereichert war – ein Hoch auf die gute alte Tischprobe, die ich offenbar zu Unrecht viel zu kurz nutze, um schnell auf die Szene, in den praktischen Erlebnisvorgang zu wechseln. Merkenswert.

Temperaturen über 30 Grad, Proben in Bademode.

Die ersten Tage waren wie ein sanfter und fließender Übergang in den Raum, ich wollte, dass wir diese virtuelle Intimität des Monologs aus dem Lockdown organisch in den 3D Ort Theater mit allem Alltag übertragen und so haben wir erst zu zweit gestartet, beim Kaffee. Dann den Raum begangen in einer einzigen Leseprobe, Textprobe, Bauprobe, Bühnenbegehung – alles in einem. Der Luxus ist in diesem Moment: Wir sind am originalen Ort. Mit dem originalen Raum. Und unglaublich betreut. Kathi baut und verändert, z.B. für HAUS DREI einen spiegelnden Umraum, der die Geometrie der Erzählung auch noch ganz haitisch erlebbar in den Zuschauerraum erweitert. Den Kreis der Zuhörenden, Schauenden, den bauen wir genau so, wie es den COVID-19-Maßnahmen entspricht, also in Österreich zwei Meter Abstand.

Wieder und wieder neu denken, neu ausprobieren, Konstellationen verschieben, hinterfragen.

Schritt für Schritt haben wir uns die Akte am Ort angeeignet, Susanne hat die Figuren in sich bereits so angereichert, dass jeden Tag neues Ausprobieren, neues Bewegen der Gefühle und Gedanken passiert. Und Donnerstag kam Lot dazu, aus Belgien, Zone: yellow/orange, auch sie wird getestet. Und mit Lot kamen Kostüme und Schuhe und die Charaktere werden noch plastischer. Jetzt freuen wir uns auf Montag und Matthias und dann sind wir komplett. Alle an einem Ort.

Bahnen ziehen im leeren Pool gestern Abend im Augartenbad. Open Air Kino mit der Schauspielhaus Graz Filmproduktion „Die Revolution frisst ihre Kinder“. Muskateller Spritz (mit ordentlichem Abstand!) im Café Promenade.

VIERUNDZWANZIG

We will be back: Graz – der Saisonbeginn
24. August 2020

Reisen ist zur Zeit ein Abenteuer. Bei meiner Anreise per Zug und Flieger durch Süddeutschland und die Schweiz durchquerte ich drei Länder in kurzer Zeit, etwas das früher selbstverständlich gelebt wurde, und für mich heute ein schierer Luxus war – und in jedem Land, an jedem Ort war der Umgang mit COVID-19 vollkommen anders. Während in Hamburg just heute die 40€-Buße für das Nichttragen von Masken im Nahverkehr in Kraft tritt, erlebte ich in Freiburg eine fröhliche Menge bei sengender Hitze auf der Straße, nackt wie Gott sie schuf im Gesicht. In der Bahn Richtung Schweiz dann wieder Maskenpflicht per Ansage von der Deutschen Bahn und ab Basel: Alles kann, nichts muss. Im Flughafen Zürich auch eher so gemischte Erlebnisse. Und im Flieger von Austrian sowieso dichtgepackt mit Maskenpflicht – die man allerdings durch das Knuspern von mehreren Tüten Mannerschnitten offenbar auch bis kurz vor dem Einstieg aussitzen kann, wie ich am Gate beobachten konnte.

Der Schein trügt: Nur der Check-in in Zürich war leer, der zusammengestauchte Flugplan ist dicht besetzt innerhalb der Maschinen.

In Graz dann am Schauspielhaus alles sehr einfach und geordnet, perfekt vorbereitet: Ein Sicherheitskonzept, das den Umgang auf und hinter der Bühne regelt, in einfachsten Schritten runtergebrochen bis hin zum Tipp, selbständig ein Kontakttagebuch zu führen. Und gleich nach der Eröffnung und herzlichen Begrüßung durch die Theaterleitung: Ein COVID-19-Test in genauen Zeitslots, eine Pooltestung für zusammenarbeitende Personengruppen. Im Ernstfall würden sich daraus handfeste Handlungsabläufe ergeben. Und damit saßen wir uns dann ab 11 Uhr 30 zum ersten Mal live gegenüber, Susanne und ich – und der Text von Lot Vekemans! Im Aquarium der Kantine, Fenster offen, während unser Raum im HAUS DREI zeitgleich eingerichtet wurde.

Endlich wieder. Im Theater. Das Leitungsteam um Iris Laufenberg eröffnet gemeinsam diese besondere Saison – und Iris erzählt nicht nur leidenschaftlich von der aktuellen Ausstellung „Christoph Schlingensief – Die Grazer Aktionen“ im Forum Stadtpark, sondern fragt auch sich und uns: Wie weit würden wir aus unserer Komfortzone herausgehen, um deckungsgleich mit dem Inhalt zu sein, den wir vermitteln wollen in unserer Kunst?

DREIUNDZWANZIG

Fiktion und Wirklichkeit VI
21. Juni 2020

Es wird real! Ab Ende August beginnen wir an „Niemand wartet auf Dich“ live zu proben, Anfang September erarbeite ich ein COVID-19-Update von „Dschabber“ in Berlin – und zum 22. September planen wir eine Premiere in Graz… Fasten your Seatbelts.

ZWEIUNDZWANZIG

Digital international
12. Juni 2020

Seit Freitag, dem 13. März waren wir am Schauspielhaus vor allem mit der Neuplanung, Umplanung, anders-Planung und noch mal ganz-anders-Planung  unserer kommenden Saison beschäftigt: Was lässt sich „retten“, kann das Dramatiker*innenfestival stattfinden (wo wir „Niemand wartet auf Dich“ erstmals vor (Fach-)Publikum ausprobiert hätten), wie geht es mit der Jahrestagung der European Theatre Convention weiter, die wir als Gastgeber während des Festivals ausgerichtet hätten. Die ETC hatte schlau die gesamte Konferenzstruktur schnell digital nachgebaut: Statt der informellen Kaffeepausen gab es über die Monate drei virtuelle Coffee Breaks. Während der ersten im April haben wir dort „eingecheckt“ und uns gegenseitig beschrieben, wie es den Theatern europaweit geht. In kleiner Runde, in einem uns allen nun mittlerweile mehr als bekannten „Breakout-Room“, hat Jochen von seinen Perspektiven berichtet – auf Deutschland, wo er mit Theatern an so unterschiedlichen Orte wie Berlin oder Regensburg in Kontakt ist – und von uns aus Österreich. Diese ETC-Coffee-Break fand kurz nach dem Moment statt, in dem kolportiert worden war, Angela Merkel habe die Unterstützung der deutschen Künstlerinnen und Künstler infrage gestellt, wenn sie nicht in Eurobonds einsteigt. Als Jochen davon erzählte, entstand ein gemeinsames Interesse an diesem Thema und die Frage: Hat das Theater europaweit eigentlich eine Lobby, so wie die Wirtschaft?

Auf der Jahreskonferenz der European Theatre Convention, Verlinkung im Bild.

Heidi Wiley, die Generalsekretärin der ETC, wusste zu dem Zeitpunkt natürlich schon, dass „Lobbying for the Arts“ auch das Thema der virtuellen Konferenz sein würde und so begannen wir gemeinsam zu überlegen, ob unser Stück, das sich so intensiv mit Demokratie und Selbstverantwortung befasst, nicht ein guter künstlerischer Impuls für diese digitale Konferenz sein könnte, denn eigentlich hätten wir alle gerade gemeinsam in Graz sein sollen.

Mit welcher real existierenden Politikerin könnten wir während der Konferenz unsere fiktive (zurücktretende) Politikerin virtuell in Kontakt bringen, wie können wir uns empathisch in Politik einmischen, ohne die Rollen zu verwechseln? Die Wiener Kunstdezernentin (und langjährige Leiterin des steirischen herbsts in Graz), Veronica Kaup-Hasler, kennt aus ihrer Arbeit sowohl die Seite der Politik, als auch die der Kunst. Die von der ETC vorgeschlagene zypriotische Theatermanagerin Milena Maleni debattierte mit ihr über die Schlagkraft von europäischer Kulturpolitik. Dabei erfuhr man u.a., dass das Kulturbudget einer so reichen Kulturstadt wie Wien nur 1,6% des Gesamtetats der Stadt beträgt – und das europäische Kulturbudget sogar nur 0,8%. Abgesehen davon, dass es seit kurzem ja auch keinen ausgewiesenen EU-Kulturmister mehr gibt. Veronika Kaup-Hasler plädierte u.a. dafür, dass sich die Künstlerinnen und Künstler aller Sparten zusammenschließen müssen, um ihren Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen.

Das Unterfangen, unseren kleinen künstlerischen „Gruß aus der Küche“ zu produzieren, wurde jedenfalls mit Improvisationsgabe und Flexibilität in einem 9-minütigen One-Take umgesetzt. Jochen sitzt per Zoom im Garten an der Nordsee, wir nutzen das Schmuckportal von Haus eins als Hintergrund für Susannes Monolog, und die junge Regisseurin Anja Wohlfahrt fungiert als Kamerafrau. Allerdings wird gerade im Dach des Theaters die Lüftungsanlage erneuert, was höllischen Lärm macht, so dass wir unseren kleinen Auftritt genau takten mussten. Nach einer kurzen Absprache und Probe aller Beteiligten haben wir das Filmchen in einem Schwung miteinander gedreht. Mal eben so nebenbei. Aber man hat ja auch gerade Zeit für solche Sachen. – Karla Mäder

EINUNZWANZIG

Reflektion der virtuellen Phase II
16. Mai 2020

Proben digital! Eine neue Erfahrung!

Wir haben nun 3 Wochen des digitalen Probens hinter uns! Das war spannend, das war schön -und irgendwann war dann auch der Moment, in dem man merkt: Und jetzt müsste es “live” losgehen! Im Raum! Miteinander! Aber gut – das passiert dann hoffentlich ab Herbst! Bis dahin heißt es das, was wir bis jetzt miteinander entwickelt haben, wachsen zu lassen. Und vor allem den Text perfekt zu  beherrschen… Und sich mit den Figurenskizzen näher zu befassen, die wir bei unseren Zoom-Meetings miteinander entwickelt haben – Jochen und ich! Denn die meiste Zeit haben wir nur zu zweit geprobt. Am Text gearbeitet, verschiedene Grundgesten für die Figuren gesucht. Figurenvorbilder gesucht, mit denen ich nun weiter “schwanger gehen” kann… Das Ganze war definitiv ungewöhnlich!

Denn normalerweise sind auf einer Probe, sogar bei einer Monolog-Probe, mindestens noch 1-2-3 andere Menschen anwesend: Die Regie-Assistenz, die Souffleuse, ab und zu die Dramaturgin… Diesmal waren wir meistens zu zweit! Außer Jochen hat extra die Kostümbildnerin, die Dramaturgin, den Musiker oder unseren Assistenten eingeladen. Wie weiter unten im Logbuch dieser ungewöhnlichen Produktion zu sehen und zu lesen. Diese sehr intensive und intime Art der Kommunikation hatte etwas für sich, weil wir uns sehr viel Zeit genommen haben, uns über die Figuren auszutauschen. Eine Zeit, die man sich beim “live” proben nicht immer nimmt, weil man oft sehr schnell “auf die Bühne” will. Weil es ein Ergebnis zu erzielen gilt.
Außerdem ist durch dieses intensive Sprechen miteinander ein Vertrauen entstanden, das uns dann, wenn es endlich tatsächlich zum realen Proben kommt, sicher zugute kommen wird. Oft ist es ja so, dass Du eine/n Regisseur*in kaum kennst, aber beim Proben soll es zügig ans Eingemachte gehen. Das ist nicht immer einfach… Und: ich war auch erstaunt, wie konstruktiv sich letztendlich dann doch auch per Video-Call am Text arbeiten ließ. Dadurch dass ich quasi immer in die Kamera “gespielt” habe, hatte das Ganze offenbar eine ganz eigene Qualität bzw. Wirkung. Manchmal eben richtig filmisch, wie Jochen meinte.

Einmal haben wir auch versucht, dass Matthias, unser Assistant mir souffliert, mit einem Kopfhörer im Ohr und per Whats-App-Telefon, während ich Jochen per Zoom-Call “angespielt” habe. Diese Erfahrung war sehr lustig, weil die Whats-App-Verbindung manchmal schlecht und damit etwas verzögert war. Dementsprechend verzögert kamen dann auch die einsoufflierten Worte, was definitv nicht an Matthias lag…

Abgesehen von solchen technischen Erfahrungen hat mir beim Distance-Proben am besten gefallen, dass wir uns in der Kommunikation so nah waren, dass wir manchmal vergessen haben, dass wir währenddessen in vollkommen anderen Lebensrealitäten situiert waren. Daran wurde man dann zum Beispiel dadurch erinnert, dass Jochen plötzlich aufsprang, laut ausrufend “Oh, hier passieren seltsame Dinge!” und im nächsten Moment kracht sein Sonnenschirm ins Bild, der eben von einer kräftigen Nordsee-Windböe erfasst worden war. Um Jochen herum also: Kühe, Weide und Nordsee-Idylle. In meinem Hintergrund, ein immer wieder plötzlich winselnder, scharrender, bellender Junghund, der keine Lust mehr auf Mittagsschlaf hatte oder mein Sohn Lenny, der leider “ganz kurz meinen Computer braucht”, um noch rechtzeitig “bis 12” die verlangte Geschichtsaufgabe “hochzuladen”, die beim digitalen Lernen für die Schule abzugeben war…

Ja, Theater-Home-Office war eine eigene, ganz lustige Erfahrung, schön war auch die Leseprobe, bei der alle anwesend waren, die sonst vielleicht nicht anwesend gewesen wären, z.B die Autorin Lot Vekemanns, die sich aus den Niederlanden zugeschaltet hat. Das wäre definitiv beibehaltenswert für die Zukunft! Distanzen werden auch kleiner! Auf der einen Seite! Und auf der anderen Seite sind sie dann irgendwann zu groß, um ein echtes Theater- bzw Probenerlebnis zu ermöglichen. Das braucht einfach das gemeinsame Sein im Raum! Und auf das freue ich mich nach dieser digitalen Vorarbeit riesig. – Susanne Konstanze Weber

Gemeinschaftssport allein vor dem PC/WC.

Assistent videotelefoniert über Handy mit Schauspielerin. Regisseur gibt Schauspielerin Anweisungen über Zoom. Assistent souffliert über Headset im Ohr der Schauspielerin und hört den Regisseur über Kopfhörer. Klingt unheimlich kompliziert- ist es auch, aber man gewöhnt sich daran und dann funktioniert es gar nicht so schlecht. Vor ein paar Wochen waren solche Proben noch undenkbar, aber wie sagt man so schön „Not macht erfinderisch“.
Wir haben das Experiment gewagt online zu proben, mit dem Wissen, dass es auch seine Tücken hat. Wir haben es versucht und es hat funktioniert (zumindest meiner Meinung nach).
Homeoffice im Theater.
Onlineproben: eine neue Erfahrung in dieser ungewöhnlichen Zeit. – Matthias Dielacher

ZWANZIG

Fiktion und Wirklichkeit V
15. Mai 2020

Heute hätten wir unsere Vorproben in Graz abschließen wollen mit einem ersten try-out. Wir hätten uns in dem kommenden Monaten zum Dramatiker*innenfestival und/oder zur Jahreskonferenz der European Theatre Convention wieder getroffen für weitere Voraufführungen und im Herbst dann Premiere gefeiert im Rathaus von Graz. Alles kam anders. Heute ist die Staatssekretärin für Kultur, Ulrike Lunacek, in Wien zurückgetreten, weil sie keine positiven Effekte im Krisenmodus mehr erzielen konnte, ihre Rede erinnert uns an den zweiten Teil, die Rede der zurücktretenden Politikerin und ich bin zugleich empathisch fasziniert von der Deutlichkeit, mit der sich eine Frau gegen ein medial erzeugtes Zerrbild zur Wehr setzt.

NEUNZEHN

Fiktion und Wirklichkeit IV
Site Specification
14. Mai 2020

Warum fasziniert mich diese Kunstform (site-specific) so sehr – und warum schon so lange? Die Vermischung von Realität von Kunst habe ich auch auf diesem Medium schon mehrfach angesprochen in den (von mir vor allem inhaltlich erträumten) Möglichkeiten von Theater und Internet, in der Suche nach einer „gesteigerten“ Erzählung, aber auch in dem Versuch klassische Erzählformen durch örtliche Verschiebung und ungewöhnliche Rahmungen neu zu fokussieren. Nun machen wir in Graz ein Stück, das in politischen Versammlungsorten aufgeführt werden sollte, das immer in ein Diskussionformat um politische Selbstverantwortung und demokratische Beteiligung überfließen wird. Warum fasziniert mich das so? Ich schätze auch Kolleg*innen sehr, die diese Art performativer Vermischungen machen, ich mache gerne Audiowalks oder finde es aufregend als einziger Zuschauer in einem Auto durch eine Stadt  gefahren zu werden, um inhaltlich Orte und Welt neu zu erfahren…

Aber ich selber mag es noch mehr, wenn die Grenze zwischen Kunst und Wirklichkeit verwischt. Vermutlich, weil ich schon so lange im Theater lebe und so viel Kunst wahrnehme, den ganzen Tag – ständig wird etwas gelesen, geschaut, diskutiert, nicht nur die eigenen Stücke, sondern natürlich auch Romane, Essays, Serien, Stoffe von Kolleg*innen, wenn ich die Tageszeit, die ich mit Kunst verbringe einschätzen sollte, würde ich glauben: ca. 75% meiner wachen Zeit. Insofern ist für mich die Linie immer in Bewegung. Aber ich glaube, es hat auch durch diese Jahrzehnte in der Kunst zu so etwas wie einem Wahrhaftigkeitsfetisch geführt. Ich reagiere mit einer Art allergischer Schockreaktion auf Fake – sofern Fake vorgibt etwas anderes zu sein, sofern es nicht zum künstlerischen Konzept gehört Artefakt und Authentizität ins Widerspiel zu bringen. Steht Kunst also in direktem Kontakt zur Wirklichkeit, thematisiert der Rahmen selber bereits Wirklichkeit und öffnet den Blick.

Und vielleicht, vielleicht, vielleicht hat das immer schon meine Liebe zum Re-Framing begründet: Niederländisches KinderJugendtheater meiner Kindheit fand in Turnhallen statt, inspiriert von Peter Brooks Company in den Pariser Bouffes du Nord und dem berühmten Teppich des leeren Raums? Seine Arbeiten haben mich während der gesamten Ausbildung begleitet, wir pilgerten nach Zürich zu „L’homme qui“ nach den Hirnforschungserzählungen von Oliver Sacks und zu Brooks Hamletversion „Qui est lá“ … Eines meiner allerersten Engagements noch vor der Schauspielschule war eine Assistenz mit Spielverpflichtung in Ad de Bonts „Das besondere Leben der Hilletje Jans“, eine Art Yentl im Fluch der Karibik oder Pippi Priscilla Langstrumpf auf dem Meer, also Theater bei Tageslicht und Identitätsstudie mit Genderkritik, noch vor meinem 20. Lebensjahr.

Im Hamburger Schauspielhaus hatte Tom Stromberg gleich zu Beginn Richard Dressers „What are you afraid of“ produziert, eine Fahrt im Mercedes durch die Stadt mit verschiedenen Begegnungen. Eine meiner Arbeiten am Hamburger Schauspielhaus, die das Label Junges Schauspielhaus begründeten, war „Der Junge im Bus“, das Soziodrama von Suzanne van Lohuizen, die Andreas Beck zeitgleich auch für Schreibworkshops in eine der ersten Schreibwerkstätten eingeladen hatte, spielte in einem umgebauten HVV-Bus über 40 Vorstellungen auf Schulhöfen über die Stadt verteilt und vor dem Schauspielhaus in der Parkbucht direkt gegenüber des Hauptbahnhofs.

Wir können also im Theater und in der Welt gleichzeitig sein. Für mich, ein Traum. Und nun Graz und direkte Kommunikation mit direkter Politik. Wir können es kaum abwarten, dass das Projekt sich der körperlichen Kopräsenz wieder annähert, vorerst im Schauspielhaus und dann (hoffentlich) immer wieder im Angebot für die gesamte Steiermark.

ACHTZEHN

Fiktion und Wirklichkeit III
Work-in-Progress: Das Buch
12. Mai 2020

Kathrins Entwürfe für das Buch, das in jedem Akt vorkommt, nehmen Gestalt an. Diese Arbeit an einem Artefakt, das alles in Bewegung bringt, macht mir Freude. Eine Fiktion bis ins Detail auszugestalten. Ist es ein Lebensratgeber, eine Beichte, ein soziopolitischer Essay? Wer hat es geschrieben? Hat jeder Figur dasselbe Buch – oder gibt es unterschiedliche Ausgaben, die zugleich eine (historische) Entwicklung und Kontextualisierung der Veröffentlichungen behaupten? Mir würde gefallen, wenn das Objekt selber wie eine Mischung aus Ouroboros und trompe l’oeil zwischen Fiktion und Wirklichkeit changieren würde… Dass es gleichzeitig das Stück und das Requisit und die Wirklichkeit, in der es stattfindet, hin und her spielend verbindet.

SIEBZEHN

Reflektion der virtuellen Phase I
Musikalische Proben auf Zoom
11. Mai 2020

Wir haben diese Zeit ja zuvorderst genutzt, um vieles vorzubereiten und schon durchzuarbeiten, was wir, immer noch vom Live-Erlebnis ausgehend, später in einer „klassischen Theaterform“ nutzen werden. Auch wenn es sicher ein vollkommen anderes Theatererlebnis werden wird als je zuvor, die Distanzen und der Umgang mit dem direkten Kontakt wird in der besonderen Form dieser site specific Inszenierung noch Thema werden… Matthias, wie hast Du diese Phase und Probenform für die musikalische Arbeit erlebt?

Nachdem die erste Probenphase vorbei ist, kann ich für mich sagen, dass die digitale Probenarbeit über Zoom eine interessante Erfahrung war, eine Probe vor Ort jedoch nicht ersetzen kann. Solche Proben über Videokonferenzen können sicherlich dazu dienen, erste Musikentwürfe vorzustellen  und Musiken während Textproben auszuprobieren. Man ist aber in Bezug auf „feine“ Einstellungen und detaillierte Arbeit doch recht eingeschränkt. So war es durchaus sinnvoll während den Textproben einzelne Musikentwürfe auszuprobieren um sich schon eine gewisse Struktur für die gemeinsamen Proben vor Ort aufzubauen. Außerdem konnte auch festgestellt werden wie die Musik die einzelnen Haltungen der verschiedenen Figuren unterstützen kann. Dies funktionierte aber nur bis zu einem gewissen Grad, da die Latenz, welche durch die Videokonferenz entstand, kein allzu feines, punktuelles Abspielen der Musik ermöglichte.  

Die feinen Ausarbeitungen der Musikeinsätze und auch die Finalisierung der einzelnen Musikstücke wird dann hoffentlich im September / Oktober in Graz vor Ort entstehen. Ein weiterer Faktor ist auch die Musikwiedergabe, welche über Zoom auf Kopfhörer, Laptoplautsprecher begrenzt war bzw. jeder Teilnehmer andere akustische Vorraussetzungen hatte. Somit war ein gemeinsames Musikwahrnehmen im Raum nicht möglich, was aber gerade für das letzte Stück, das gemeinsame Augenschließen, sehr wichtig ist, da es bei dieser Musik auch darum geht tiefere Frequenzen im Raum über den Körper wahrzunehmen. Abschließend kann ich sagen, dass die erste, digitale Probenphase eine gute Vorbereitung für die Arbeit vor Ort war und dass ich die gesammelten Eindrücke und Erfahrungen gut nutzen kann um das Material für die Proben vor Ort anzupassen. – Matthias Schubert

Schließt die Augen…

SECHZEHN

Politische Wirksamkeit im Selbstversuch
4. Mai 2020

Die Kerngedanken von Lot Vekemans Stoff begleiten mich nun seit über fünf Wochen in der intensiveren Arbeitsform der konkreten Probenarbeit. Im Zentrum des Stückes steht die Aufforderung, Politikverdrossenheit durch beherztes Anpacken abzuwehren. Da müsste es doch einen Weg der praktischen Recherche geben, dachte ich mir… Zuallererst bräuchte es natürlich einen einigermaßen komplexen Anlass, etwas, das ich nicht allein, sondern eben nur zusammen mit dem mich direkt umgebenden politischen System lösen könnte. Durch die gegebene Situation – verordneter Stillstand der öffentlichen Abendveranstaltungen mit körperlicher Kopräsenz – konnte ich mich in langen Abendstunden gedanklich in die Materie einarbeiten: in die Ungleichheit der Herangehensweisen an z.B. Kurzarbeit in Festanstellung im Vergleich zu den Vorschlägen für Freiberufler*innen und den fehlenden Umsetzungen für freischaffende Künstler*innen. Mit jedem weiteren Artikel, den ich las, mit jedem Telefonat, das ich führte, fokussierte sich eine Idee, um die eigene politische Wirksamkeit auf den Prüfstand zu stellen. Um eine Stimme zu finden für eine Personengruppe, die sich auf einmal, nach Jahren von permanenter Arbeit mit relevanten Themen mit einem Begriff wie Systemrelevanz beschäftigen soll und um gemeinsam nachzudenken, wie sich das große Ganze in die kleinste Einheit, wie sich Bund in Länder in Kommunen vermittelt und umsetzt. Ich habe also einen Selbstversuch live vor Ort in einem kleinen Dorf an der Nordseeküste gestartet. Hier befindet sich meine Meldeadresse, hier fühle ich mich zuhause, hier habe ich die letzten 8 Wochen ununterbrochen verbracht. Im Stadtstaat Hamburg, wo ich seit 2000 lebte, wüsste ich viele Wege und kenne einige Bürgerschaftsabgeordnete und weiß wie man sie direkt erreichen kann und wer für was stehen möchte. Ansatzweise auch in Berlin.

Homeoffice. Mindspace. Strand als Bühne oder: Wer steht hier für die Kunst?

Im Flächenland Schleswig-Holstein dagegen stellt sich die Frage in kleineren Einheiten scheinbar viel praxisnäher dennoch neu: Was kann ich selber anschieben? Kenne ich meine politischen Ansprechpartner? Wer bewegt hier was? Wie informiere und motiviere ich meine Volksvertreter*innen für mein und das Anliegen anderer Betroffener, ohne Empörung, aber mit Transparenz und Offenheit für deren politische Realität? Wird auch meine Sache verhandelt? In meinem kleinen Selbstversuch treffen sich (Stadt)Theater und Politik grundsätzlich: tua res agitur – deine Sache wird verhandelt.

Ausgangspunkt für meine Recherche war ein Artikel in der Süddeutschen, in der ich las, dass Markus Söder eine Art Kurzarbeitergeld für Künstler*innen auszahlt. Alle Menschen, die in Künstlersozialkasse registriert sind, können in Bayern 1.000 Euro monatlich beantragen. Eine unkonventionelle, pragmatische, einfache Lösung, die nicht allzuviel Bürokratie oder Kosten verursachen sollte. Zeitgleich hatte ich in diesen Wochen immer wieder von neuem mit Staunen über den Föderalismus in Deutschland nachgedacht: darüber, welche demokratischen Vorteile diese Form mit sich bringt, aber auch welche absurden, teilweise amüsanten und antiquierten Blüten aus der Zeit der Vielstaaterei Deutschlands sichtbar werden. Allein der Streit zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein, die ad hoc geschlossenen Bundesländergrenzen und evakuierten Inseln wären einen eigenen Eintrag wert, der in die Zeit des Sturm und Drang und Fluchten von Mannheim nach Stuttgart zurück verweist.

Mit der Bayrischen Lösung im Kopf schrieb ich „meinen“ Ministerpräsidenten Daniel Günther direkt an, das kann man ja heute. Auf Facebook sah ich sofortige Bewegung, die drei Pünktchen versprachen schon in der Minute meines Versands Antwort. Für einen Augenblick dachte ich, dass Herr Günther vielleicht morgens himself, quasi noch im Bett, aber vor Verantwortung hellwach, sich als Landesvater Sorgen um seine Bürger*innen macht, den Messenger liest, und nun, empathisch aufgeschreckt, dem Künstler an der Küste antworten will. Prompt kam aber nur eine Art Blocksatz-Text vom „Team Daniel Günther“ mit Verweis auf zwei Links. Einer führte zur Soforthilfe für Institutionen und Selbständige, der andere war ein Verweis auf die Landeshilfe Kultur Schleswig-Holstein. Ersteres hat sich für freischaffende Künstler*innen bereits ausgiebig als ungeeignet erwiesen, weil diese selten Pachten oder Mieten zahlen und ebenso selten Angestellte sind.

Ich antwortete also an „Liebes Team Daniel Günther“, dass es sich bei der ersten Handreichung um ein Instrument handelt, das ausdrücklich nicht für Einzelpersonen wie mich gedacht sei. Beim zweiten Link, der mir dann noch einmal zugesandt wurde, entdeckte ich den Verein Landeskulturverband Schleswig-Holstein, bei dem man sich einmalig um 500 Euro bewerben konnte. Hier erlebte ich ein sympathisches Telefonat mit dessen Geschäftsführerin Merle Lungfiel, die die gesamte Situation bereits analysiert hatte und mir riet, neben Daniel Günther auch meine direkten Abgeordneten anzuschreiben. Zuerst schrieb ich also erneut die Situation zusammenfassend an den Ministerpräsidenten per Mail, ganz persönlich, an die einzig offiziell-verfügbare Mailadresse info@cdu-sh.de. Dann machte ich mich auf die Suche nach weiteren Verbündeten.

Die Verwaltung von St. Peter-Ording, der zu meinem Dorf zugehörigen Verwaltungseinheit, verfügt über einen Kulturausschuss. Diesem stehen zwei Damen vor, die man offiziell über die ebenfalls so zielgenau Email info@cdu-spo.de erreicht. Bei näherer Recherche findet sich auch ein Campingplatz, auf dem die stellvertretende Vorsitzende zu arbeiten scheint. Ich beschrieb beiden Damen die Situation für Freischaffende zwischen Berlin, München und Norddeutschland, berichtete von der bayerischen Lösung, fragte nach Alternativen in Schleswig-Holstein und bat um ihre Hilfe, die vollmundig aufgeführten „unkomplizierten Regelungen“ mit mir in pragmatische Realität zu überführen. Eine Mail ging also an die CDU, die andere an die schillernde, offene Adresse eben jenes Campingplatzes in St. Peter Ording. Eine Antwort erhielt ich bisher von beiden nicht.

Weiter nachgedacht… Wer vertritt denn Nordfriesland im Bundestag und hätte entsprechend eine Stimme, um die offenbar deutschlandweit so variantenreich angepackte Situation zu repräsentieren? Die Bundestagsabgeordnete Astrid Damerow kann man unkompliziert anschreiben, ebenfalls Karin Prien, die Kultusministerin von Schleswig-Holstein. Auch bei diesen beiden Damen brachte ich mein Anliegen per Email vor, auch von ihnen bisher: keine Antwort.

Trotzdem gibt es so etwas wie ein vorläufiges Happy End – zumindest, was mein erstes Nahziel anbelangt, nämlich zu irgendwem, der kompetent und zupackend ist und Verständnis hat für die Situation, direkten Kontakt zu bekommen. Freitag Abend, am 1. Mai, stand ich mit meiner Nachbarin am Gartenzaun und schilderte ihr meine Odyssee durch die verschlungenen Wege der Verwaltung. Sie arbeitet im Amt der Region Eiderstedt, und als ich mich laut fragte, wer denn wohl in den Ausschüssen der Region säße oder diese verwaltet, meinte sie: „Die Ausschüsse für Kultur, Sport und Jugend? Ich.“

Bisherige Reaktionen auf meine gesammelte Post: Null / 72h.
Anmerkungen & Tipps and tricks bitte gern in die Kommentare.
To be continued. – Jochen Strauch

SECHZEHN.EINS

Jetzt auch mit Kanzlerin
10. Mai 2020

Zum Wochenende meldete sich Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einem Bekenntnis zur Kultur zu Wort. Die Umsetzung der Maßnahmen, die mit der Beauftragten für Kultur, Monika Grütters, beschlossen wurden, werden von den Ländern realisiert. Dazu auch lesenswert: ein Bericht vom Verband der Gründer und Selbständigen in Deutschland. Meine Nachbarin hatte ebenfalls recherchiert: Die Kommunen sind raus, das Land ist Ansprechpartner.
Schleswig-Holstein, wir zählen auf Dich! – Jochen Strauch

SECHZEHN.ZWEI

Im Nordwesten nichts Neues
19. Mai 2020

Auf meine Mails an Nordfrieslands MdB, Astrid Damerow, an den Ministerpräsidenten und die Kultusministerin von Schleswig-Holstein, Daniel Günther und Karin Prien, bisher: Keine Antwort. Karin Prien schrieb auf Facebook unter eine Nachfrage von mir im Profil von Daniel Günther anläßlich seiner Meldung zu den Lockerungen zum 18. Mai, die Dachverbände hätten schon längst Konzepte vorgelegt… Dabei geht es vermutlich um die Wiedereröffnung der Kunstinstitute Schleswig-Holsteins? Aktuell bleibt die Unterstützung für freischaffende Künstler unrealisiert.

SECHZEHN.DREI

Nichts, gar nichts
13. Juni 2020

Keine Antwort auf meine Mails bis heute, auf die Frage, was Schleswig-Holstein für die freiberuflichen Künstler*innen plant… deshalb ein neuer Kommunikationsversuch via Facebook anlässlich eines Interviews von Monika Grütters in der NMZ und anlässlich der Ankündigung in Österreich, in einem Hilfsfonds ab Juli Künstler*innen mit 1.000€ monatlich für sechs Monate zu unterstützen.

Meanwhile, throughout Europe
11./12. Juni 2020

Auf der Jahreskonferenz der European Theatre Convention 2020, Verlinkung im Bild

SECHZEHN.VIER

Kontakt zur Politik
18. Juni 2020

Über den Eintrag des Hamburgischen Finanzsenators auf Facebook ist ein Pfad der Kommunikation zur Schleswig-Holsteinischen Kultusministerin Karin Prien entstanden. Hamburgs Kulturbehörde kündigt im Rahmen von Monika Grütters „Neustart“-Paket ab Juli eine Maßnahme für Freelancer an. Auch den guten zusammenfassenden Artikel aus der ZEIT „Unter Verdacht“ habe ich per Facebook-Adding an Daniel Günther („Der packt an“) kommuniziert. In Schleswig-Holstein sind natürlich gerade auch viele andere Themen akut. Vielleicht geht es immer weiter darum „awareness for the arts“ zu erzeugen und unsere Perspektive zu vermitteln?

Freitag wird darüber entschieden, inwiefern der private Verein Landeskulturverband SH e.V. erneut beauftragt und budgetiert wird, wenn ich Karin Prien richtig verstehe. Meine Kritik wäre u.a. weiterhin: während Festangestellte staatlich mit Kurzarbeitergeld unterstützt wurden und werden, fehlt der kommunalen Ebene ein Verständnis von der Lebenssituation Freischaffender (Künstler*innen). Entsprechend karg und wenig prioritär fallen die Maßnahmen aus. Insbesondere in SH.

FÜNFZEHN

Fiktion und Wirklichkeit II
Das Buch als Requisite
3. Mai 2020

Beim Lesen des Stückes habe ich mich öfter mit der Frage wie denn das Buch „Niemand wartet auf dich“ aussehen könnte beschäftigt.
Jeder weiß im Groben wie ein Buch aussieht, der feine, aber wesentliche Unterschied liegt im Design und der Aufmachung. Mal hat es einen festen Einband, ist groß und unhandlich oder es ist ein Taschenbuch, praktisch um es überall hin mitnehmen zu können. Mal hat es mehr oder weniger Seiten mit großer oder kleiner Schrift.
Im Stück von Lot Vekemans wird das Buch nur dadurch beschrieben, dass es existiert. Man kann nicht herausfinden ob es die erste oder bereits 21. Auflage ist. Ist es dick oder dünn? Groß oder klein? Ein großer Vorteil aus der Sicht einer Bühnenbildnerin.
Im Stück haben verschiedene Personen das Buch über verschiedene Wege erhalten.
Die erste Protagonistin leiht sich ein Exemplar der Lektüre in einer Bibliothek aus, die zweite bekommt es von ihrem Mann als Geschenk überreicht.
Für diese Produktion ist es für mich klar, dass es nicht bei einem Buch bleibt. Jeder braucht sein eigenes Buch. Mal ist es schon etwas älter bzw. abgegriffener, mal ganz neu und ungelesen und vielleicht sogar noch mit einer Schleife oder anderem als Geschenk verpackt. Aber wie designt man eigentlich so ein Cover?
Bei jedem neuen Entwurf beschäftige ich mich gerne mit Farbsymbolik. Jede Farbe hat ihre eigenen „Charaktereigenschaften“. Wie der Titel des Buches sagt wartet niemand auf einen. Das löst auch bei mir viele Gedanken aus. Gedanken über die Gegenwart und Zukunft, denn wenn niemand auf mich wartet, wozu soll ich dann auf jemanden warten? Oder habe ich dadurch, dass niemand auf mich wartet einfach weniger Stress im Leben? Grundsätzlich finde ich das aber eher traurig als beruhigend, wenn niemand auf mich wartet.
So kann man es als negativ empfinden, dass niemand auf einen wartet. Kühle Farben wie Blau oder Violett könnten ein Anhaltspunkt für den negativen Aspekt des Titels sein.
Aber es ist doch schön, wenn man weiß, dass es jemanden gibt der auf einen wartet. Wenn jemand auf mich wartet bereit mir das das Gefühl der Hoffnung. Hoffnung und Vorfreude. Demnach würde ich mich für ein sattes Maigrün als Grundfarbe des Covers entscheiden, die Farbe der Hoffnung, mit einer großen schlichten weißen Schrift. Da Weiß eigentlich keine Farbe ist, sie aber aus allen anderen Farben besteht, denke ich, dass sie genau das vereint was dieses Buch für jeden einzelnen ist, nämlich nicht das gleiche. Jeder interpretiert es anders, dass niemand auf einen wartet.
Beim Lesen dachte ich immer sofort an ein blaues Buch, ein Softcover mit weißer Schrift. Warum genau kann ich gar nicht sagen, wahrscheinlich aber weil der Titel zuerst doch etwas Negatives ausdrückt. Ich dachte auch, dass ich das originale Exemplar mal irgendwo gesehen haben musste, da dieses nicht existiert, kam mir schnell der Gedanke ob nicht jeder, der das Stück gelesen hat, auch eine eigene konkrete Vorstellung der Lektüre hat.
Ein kleines unscheinbares Buch mit jedoch viel Inhalt und Gewicht wäre in jedem Fall aber, denke ich, der richtige Ansatz.
Das Design des Buches lässt großen Spielraum und vielleicht kann man es auch anders denken, denn für jeden sieht dieses Buch in seinen Vorstellungen anders aus- wieso dann nicht auch unsere drei Exemplare für die drei Protagonistinnen. – Kathrin Eingang

VIERZEHN

Fiktion und Wirklichkeit I
22. April 2020

Niemand wartet auf Dich. Der Klappentext: Ein Sensationserfolg, der direkt nach seinem Erscheinen in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden ist: das neueste – und vermutlich letzte – Buch eines 98jährigen Autors, der vor allem in Philosophenkreisen Kultstatuts genießt. Gilles Vögeli beschreibt in diesem schmalen Bändchen, wie der Umstand, dass jedes Leben ein  zufälliges, vom Betroffenen selbst unerwartetes Ereignis ist, einem erst die Freiheit verleiht, seiner Existenz Sinn zu verleihen. Der Autor, der in eine Schweizer Bergbauernfamilie hineingeboren wurde und als einer der großen Intellektuellen Europas gilt, blickt in diesem vielleicht persönlichsten Werk seines umfangreichen Oeuvres auf ein Jahrhundert voller bahnbrechender Ereignisse und Entwicklungen zurück, die er oft  genug am eigenen Leib erfahren hat. Sein Essay, der diesen großen Denker unserer Zeit nun auch einem breiten Publikum bekannt gemacht hat, ist ein hochkonzentriertes, philosophisches Meisterwerk und verschmitzt-humorvolles Plädoyer für ein bis ins hohe Alter aktives Leben, das in seiner schlichten, poetischen Tiefe bereits Millionen von Leserinnen und Lesern begeistert hat. – Karla Mäder 

“Niemand wartet auf Dich” ist ein Buch mit dem Potenzial, Dein Leben zu verändern. Wenn Dich etwas stört, dann finde heraus, wessen Verantwortung es ist. Ist es Deine, dann handle! Ist es nicht Deine, dann beruhige Dich, denn Du kannst es nicht ändern – aber Du kannst vielleicht Dich und Deine Einstellung ändern zu den Dingen, die Du nicht ändern kannst.

Letztendlich hängt es immer von uns selbst ab, ob etwas (z.B ein Buch) das Potenziel hat, unser Leben zu verändern.

Ich habe tatsächlich schon oft die Erfahrung gemacht, dass mich ein Wort oder ein Satz oder eine Geschichte so berührt haben, dass in mir etwas Neues ausgelöst wurde. Und angesichts der Tatsache, dass das Leben, inklusive uns selbst, ein ständig sich verändernder Prozess ist, ist es durchaus bedeutsam, worauf wir uns einlassen oder nicht. Denn: Niemand von uns ist mehr das Kind, das er oder sie einmal war. Und die Veränderung zu dem Menschen der wir heute sind, ist nicht plötzlich passiert, sondern Moment für Moment für Moment… Jede klitzekleine Entscheidung, jede Interaktion, jede Reaktion unsererseits, war ein Mini-Schritt, ein Mini-Puzzle-Teil-Beitrag zu dem, der wir im Moment sind. Und je nachdem, wofür oder wogegen wir uns in den nächsten Momenten, Minuten, Stunden, Tagen, Wochen, Monaten und Jahren entscheiden, werden wir vielleicht in 10Jahren dastehen. Du entscheidest Dich ständig! Und mit jeder neuen Interaktion schaffst Du aufs Neue Deine Lebensumstände. Für mich ist das Buch “Niemand wartet auf Dich” eines dieser Bücher, die Dich ständig daran erinnern, dass Du mit dafür verantwortlich bist, was aus Dir wird. Und damit bist Du auch ein Stück weit dafür verantwortlich, was aus der Welt wird.Wer sich verändert, verändert die Welt!” – Susanne Konstanze Weber

„Niemand wartet auf Dich“, 1998 erschienen und in kleiner Auflage erst auf französisch „Personne ne t’attend“ und über den Umweg des Englischen in die Muttersprache der Autorin ins Niederländische übertragen, ist das erste und einzig bekannte Werk der buddhistischen Nonne Tamara van Duken, eine Verarbeitung ihrer Erlebnisse im Vietnam der 80er des letzten Jahrhunderts – und zugleich eine schonungslose Abrechnung mit dem Buddhismus. Van Duken arbeitete mit einem Work-and-Travel-Visum erst als Sozialarbeiterin mit den Sexarbeiter*innen in Ho-Chi-Minh-City bevor sie nach Amsterdam zurückkehrt und für ein Jahr die Recherchen John Irvings im Rotlichtbezirk de Walletjes sowie seine Schreibarbeit an seinem neunten Roman „Witwe für ein Jahr“ begleitet. Nach eigenen Angaben basiert die Figur der Ruth Cole zu Teilen auf ihrer Biografie. „Niemand wartet auf Dich“ wurde bei seiner ersten Veröffentlichung als kryptischer Lebensratgeber fürs praktische Anpacken in die Esoterikecke spiritueller Buchhandlungen verbannt. Zeitweise war das Buch aus der Öffentlichkeit verschwunden. Erst mit dem Erstarken der Selbstfindungsbewegung und der Do-it-yourself-Wiederentdeckung kleiner kommunaler Strukturen während der ersten Corona-Pandemie eröffnete sich für das zwischen Essay, Novelle und Beichte changierende Buch ein Comeback über Online-Lesungen und YouTube-LitSessions. 2024 von Virginie Despentes in den Kanon der besten zehn Bücher für das Überleben in Quarantäne der Académie française aufgenommen avancierte es zu einem Standardwerk in europäischen Haushalten und wurde zum Buch des Jahres 2030. Tamara van Duken lebt und arbeitet mittlerweile auf einer Insel vor Stockholm in einem kleinen selbstversorgenden Reservat inmitten des Schärengärtens. – Jochen Strauch

DREIZEHN

Virtual Intimacy
20. April 2020

Ich bemerke, dass wir selten so explizit und so offen alles ansprechen und miteinander austauschen, was wir heute in dieser virtuellen Situation wagen. Vielleicht aus Scham, live, weil wir es sofort im Ausprobieren rausfinden wollen, vielleicht auch aus Zeitmangel im realen Probenraum je nach Produktionsbedingungen. Vielleicht begünstigt dieser direkte Kontakt der Gedanken von Hirn zu Hirn ohne physische Präsenz auch eine andere Form von Intimität. Aber Vieles tut gut, sich die Zeit zu nehmen, sich formulieren zu müssen, um es gemeinsam gedanklich durchzuarbeiten. Als wir heute wieder, jeder an seinem Schreibtisch, bei sich zuhause, zusammenkamen, um über die letzte Einheit des Stücks, ein offenes Diskussionsformat zu sprechen und im Anschluss mit Lot Lemm in Brüssel die Figurinen und Kostüme anzuschauen und genauer dazu zu reden, da wurde klar: Wir nehmen uns gerade einfach die Zeit. Miteinander zu kritzeln, aufzuschreiben, zu hinterfragen, zu beschreiben, nachzufragen, sich zu verstehen und immer weiter zu arbeiten im Nachdenken. Wie wollen wir diesen „Epilog“? Ausgiebig darüber zu reden, wer hat welche Figur eigentlich wie verstanden, wer stellt sie sich wie vor? Was gibt es dazu auszutauschen? Was hat man sich anders vorgestellt? Wessen Intuition und wessen Vorstellungsbild inspiriert gerade wen? Und auf einmal formulieren wir Axiome, die man sonst vielleicht seltener ausspricht. „The costume has to empower the actress!“ oder „Ich würde gern öfters gelungene Beispiele sehen – warum sind die großen Gesellschaftsbilder immer Dystopien?“

Badhair-Day an der Nordsee – der Rest ist dufte!

ZWÖLF

Eine Torte der Wahrheit
19. April 2020

Torten der Wahrheit von Katja Dittrich, Quelle: DIE ZEIT 15/20

ELF

Das Private und das Politische – Interview mit Susanne Konstanze Weber
17. April 2020

Erinnerst Du Dich an deine ersten Leseeindrücke?

Ich dachte sofort beim ersten Lesen: Was für ein toller Text! So unglaublich konkret und direkt. Das fand ich ganz stark. Und ich dachte: Super, dass ich diesen Text auf die Bühne bringen darf.
Er spricht ganz viele unterschiedliche Anteile in mir an: Die Weltverbessererin, die Politikertochter, die Mutter, die Künstlerin, die Spirituelle, die Besserwisserin, die Emphatische, die Pädagogin, die Nachfragerin, den Piranha (so nennt mein Mann mich, wenn ich etwas sehr entschlossen verfolge), die Weltbegreifenwollerin, usw.
Und ich glaube, das klingt jetzt ein bisschen doof, aber so ist es, ich glaube, dass ich mit diesem Text wirklich etwas zu geben habe. Mit dem Text, durch mich als Performerin, für die Menschen, die da zuschauen und zuhören werden.

Wie würdest Du die drei Frauen beschreiben? 

In diesem Monolog kommen ja drei ganz verschiedene Frauenfiguren vor: Eine 85-jährige Frau, die beschlossen hat Müll aufzusammeln, anstatt sich über ihn zu ärgern. Eine Politikerin, die nach 30 Jahren in der Politik ihren Rücktritt verkündet und dabei endlich offen und ehrlich sagt, wie sie ihr Politiker-Sein eigentlich beurteilt. Und eine Schauspielerin, die sich fragt, wie und ob sie durch ihren Beruf in dieser Welt etwas bewirken kann oder nicht.

Alle drei verbindet, dass ein Buch den Weg zu ihnen gefunden hat mit dem Titel „Niemand wartet auf Dich“ …

Und alle drei beschäftigen sich auf ganz unterschiedliche Weise mit der Frage, was der oder die einzelne zu einer lebenswerten Gesellschaft beitragen kann und wo die ganz persönliche Verantwortung liegt.  Das Buch sagt: „Es gibt nur drei Arten von Angelegenheiten: Deine Angelegenheit, die Angelegenheit des anderen und die Angelegenheit Gottes! Und nur an Deinen Angelegenheiten kannst Du etwas ändern!“ Die 85-Jährige versucht diese Philosophie umzusetzen, indem sie eben den Müll, der herumliegt und über den sie sich sehr oft ärgert, aufzuheben. Anstatt sich darüber zu ärgern. Die Politikerin hat 30 Jahre lang „alles getan, was in ihrer Macht stand, um diese Welt zu einem besseren Ort zu machen“ und hadert bei ihrem Rücktritt mit der Frage, ob sie dabei überhaupt im Sinne ihrer Wähler gehandelt hat. Ob sie wirklich deren Stimme vertreten hat, oder ob sie möglicherweise irgendwann „taub und blind“ geworden ist, weil sie nur noch versucht hat, ihre Mission zu erfüllen. Und weil der demokratische Prozess der Debatte, das mühsame, aber absolut notwendige Erörtern von Für und Wider, den sie für so wichtig hält, in der heutigen Politik oft kaum noch umsetzbar ist. Und die Schauspielerin versucht, mit den ihr zu Verfügung stehenden Mitteln, der Begegnung mit dem Publikum, einen Weg zu finden, etwas Sinnvolles zu tun. Sie setzt auf die Macht der Begegnung. Auf das gemeinsame Moment in einem Raum. Im Hier und Jetzt!

Hast Du eine Favoritin unter den drei Figuren? Welche ist Dir am entferntesten? Auf welche freust Du Dich am meisten?

Ich finde alle drei Ansatzpunkte unglaublich spannend: Den des Tuns und Handelns, den des Lösungen Suchens im demokratischen Prozess und den der Begegnung mit Menschen und das Wissen, dass uns jede Begegnung in irgendeiner Weise prägt und verändert. Spontan interessiert mich die Figur der Politikerin am meisten, obwohl ich mich natürlich auch mit der Schauspielerin gut identifizieren kann. Aber die Politikerin handelt aus dem Bedürfnis der Verantwortungsübernahme und das hat auch mein persönliches Leben bisher stark beeinflusst.

Inwiefern? 

Mein Vater war Kommunalpolitiker: Oberbürgermeister in Würzburg. Meine Kindheit war geprägt vom Miterleben der bayrischen CSU, den täglichen Pressemeldungen und den Stimmungen meiner Eltern, besonders meines Vaters, mit dem ich mich bis heute sehr verbunden fühle. Einer der besten Tage meines Lebens war der, als mein Vater zum Wahlkampf 1990 aus der CSU ausgetreten ist und ich endlich auf die lästige Frage: „In welcher Partei ist denn Dein Vater?“, sagen konnte: „Er ist in keiner Partei! Er ist parteiunabhängig!“ Das war toll! Fast ein Triumph!

Ein Triumph. 1990

Es ist nicht immer lustig, die „Tochter vom Bürgermeister“ zu sein. Meine Schwester ist dafür sogar mal verhauen worden. Und es ist durchaus schnell Gesprächsthema, mit wem „die Tochter vom Bürgermeister“ zusammen ist. Oder Lehrer sagen zu dir: „Sag deinem Vater mal, er soll da vorne die Ampelschaltung ändern!“ Gott sei Dank war ich schon damals nicht auf den Mund gefallen und in der Lage zu antworten: “Sagen Sie es ihm doch selber!“ Oder die ältere Dame, die monatelang bei uns zuhause geklingelt hat und uns zugetextet hat, dass unser Vater irgendeine Regelung ändern soll, damit sie ihren Wintergarten genehmigt bekommt … Und und und.

Hast Du auch gute Erinnerungen als Bürgermeister-Tochter? 

Natürlich. Als Kind durfte ich z.B. im Rathaus die Akten von Papas Sekretärin in andere Ämter ausliefern. Da lief ich dann mit der wichtigen Mappe in der Hand durch die heiligen Gänge des Rathauses und fühlte mich wie die Botin in einer griechischen Tragödie, wenn ich das Schriftstück ordnungsgemäß z.B. im Liegenschaftsamt abgegeben habe. Das war wahnsinnig aufregend! Ein anderes Highlight war der alljährliche Würzburger Faschingsumzug, bei dem meine Schwestern und ich auf dem Stadtratswagen mitfahren und Bonbons werfen durften. Aus Kindersicht war das absolut großartig und erstrebenswert.

Und ich habe unglaublich viele verschiedene Menschen kennengelernt! Es gab regelmäßig Besuch aus Partnerstädten von Schottland bis Japan. Es war für mich ganz normal, dass heute die „Franzosen“ aus Caen kommen und dass man sich mit denen auch unterhält, so gut es ging. Und morgen die Amerikaner aus „Rochester“ … Ich denke, dass ich außergewöhnlich viele Gelegenheiten hatte, mich in unterschiedlichsten Kreisen zu bewegen und da eine Kommunikationsfähigkeit und Menschenkenntnis ganz nebenbei erworben habe, die mir heute in meinen beiden Berufen (ich bin Schauspielerin und Sprechwissenschaftlerin  mit Schwerpunkt Kommunikation und Rhetorik) sehr zugute kommt. Insofern bin ich absolut nicht unglücklich über die Welt, in die ich da hineingeboren wurde. Im Gegenteil! Ich bin bei allen Nachteilen als Politikerkind sehr dankbar für die vielen Gelegenheiten, bei denen ich sehr viel lernen konnte …

Das Private und das Politische

Was für ein Politikertyp war Dein Vater? 

Er hatte immer sehr markante Sätze, von Shakespeare über Thomas Morus bis hin zu seinen eigenen Prinzipien, die er auch gelebt hat. Ein Satz war: „Beim Papa braucht man keine Angst zu haben!“ Ich glaube, dass ich da ein irrsinniges Urvertrauen in die Welt mitbekommen habe. Wenn ich irgendwo nachts eine Delle in mein Auto gefahren hatte, dann wusste ich, dass ich meinen Vater wecken kann, er mit mir in die Garage schlappt, sich das Ganze anschaut, mich in den Arm nimmt, sich darüber freut, dass mir nichts passiert ist und sagen würde: „Geh ins Bett, da kümmern wir uns morgen drum.“ Ich wusste, dass er nie brüllen oder ausflippen würde, sondern hilft. Das war für ihn selbstverständlich! Das sah er als seine Aufgabe an. Daraus hat sich wahrscheinlich ein anderer seiner Lieblingssätze abgeleitet: „Der Starke hilft dem Schwachen!“ Dieser Satz kommt lustigerweise auch in dem Stück vor, allerdings sagt ihn nicht die Politikerin, sondern die alte Frau. „Der Starke hilft dem Schwachen!“ Das war für ihn ein Credo und hat ihn teilweise in seiner Arbeit sicherlich an den Rand seiner Nerven gebracht, denn letztendlich kannst du nicht jedem helfen. Und er ist leider eher ungeduldig, und mit den Jahren auch immer ungeduldiger geworden. Und das ist keine gute Kombination: möglichst alles lösen und allen helfen wollen und dabei ungeduldig sein. Abgesehen davon kommst du als Politiker höchstwahrscheinlich irgendwann an den Punkt, wo du merkst, dass du für diesen Beruf, der sehr erfüllend sein kann, in anderen Lebensbereichen einen sehr hohen Preis zahlst. Denn der Tag hat nur 24 Stunden! Und da kommt dann zwangsläufig irgendwas zu kurz. Und weil letztendlich jeder von dir erwartet, dass du an seiner Veranstaltung, seinem Festakt, seinem Jubiläum auch noch teilnimmst, abgesehen von deiner politischen Arbeit im Rat, in den Gremien, in den Ausschüssen usw., hast du kaum noch Zeit für ein privates Leben. Für deine Familie. Dafür, in Ruhe zu essen. Spazieren zu gehen. Dich zu erholen. Deine Gesundheit … Um da in der Balance leben zu können, als Politiker, da muss man schon sehr fortgeschritten sein in Sachen Stressmanagement, Achtsamkeit usw. Und wer ist das schon in diesem Metier?!

Warum macht man denn diesen Job? 

Wenn ich das für meinen Vater beantworten wollte, könnte ich das relativ klar sagen: Gestaltenwollen, Verändernwollen und, in seinem Fall, Verantwortungsgefühl! Verantwortungsgefühl! Und das ist sicherlich auch der Begriff, der meinen Vater und mich am meisten verbindet: „Verantwortung“. Das ist oft sehr positiv, oft aber auch nicht. Und zwar dann nicht, wenn das Verantwortung-Übernehmen zur obersten Maxime und fast schon zwanghaft wird. Das wird dann ganz schrecklich anstrengend! Und Leichtigkeit ist eben auch was Tolles, eine tolle Qualität. Und die verträgt sich leider nicht immer mit einem gesteigerten  Verantwortungsbewusstsein …

Wie gehst Du mit diesem Zwiespalt um? 

Ich versuche Verantwortung übernehmen, aber eben nur die eigene und versuche zu erkennen, dass die Menschen um mich herum auch nur dann selbst wachsen können, wenn ich ihnen ihre Verantwortung überlasse. Wer ungefragt für andere Verantwortung übernimmt, überlastet erstens häufig sich selbst und läuft zweitens Gefahr, andere zu entmündigen. Und genau mit diesem Dilemma setzt sich auch die Politikerin auseinander, und das finde ich unglaublich spannend! Übrigens die alte Frau auch. Naja, das ganze Stück!

Hast Du selber politische Ambitionen? 

Ich halte das durchaus für möglich. Aber derweil habe ich es nicht eilig bzw. wenn es sein soll, wird es schon passieren. Momentan fühle  ich mich mit meinen Möglichkeiten der künstlerischen Auseinandersetzung, der Theaterarbeit, des Coachens und Unterrichtens noch sehr richtig am Platz. Und nebenbei arbeite ich lieber noch an der Verbesserung einiger Fähigkeiten, die man als Politiker unbedingt haben sollte: Gelassenheit, Geduld, Selbstliebe und die Fähigkeit, Kritik nicht persönlich zu nehmen. Sie sich nicht „zu Herzen zu nehmen“. Ich glaube, darin liegt die wirkliche Kunst: als Politiker ein Herz zu haben, es aber auch immer wieder gut schützen zu können, denn sonst gehst du kaputt. Die Schattenseiten des Zu-Herzen-Nehmens, die durfte ich in meinem bisherigen Leben leider zur Genüge miterleben.

Eine Politikerin, die mich gerade sehr beeindruckt, weil sie beides zu haben scheint, Herz und Hirn, ist die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern. Von ihrer Sorte könnte die Welt definitiv ein paar mehr gebrauchen …

Theater im Homeoffice. Die erste Woche. Graz – Welt, ganz nah, intensiv, persönlich, intim. Die gute alte Textprobe am Tisch.

Momentan bin ich aber, wie gesagt, mit den Möglichkeiten, die ich habe, um etwas Gutes zu unserer Gesellschaft beizutragen, ganz glücklich und dankbar! Und die Arbeit an diesem sehr besonderen Monolog, der auch eine ganz besondere Art von Austausch mit dem Publikum zulassen wird, fühlt sich gerade sehr stimmig an, was meinen derzeitigen Beitrag zum Thema „Die Welt zu einem besseren Ort machen“ angeht.

Climate Emergency Petition unterstützen!

Nebenbei engagiere ich mich seit vergangenem Herbst bei „Fridays for Future“ in Graz, denn ja, ich fühle mich sehr verantwortlich dafür, wie wir diese Erde an unsere Kinder und Kindeskinder weitergeben. „Niemand wartet auf Dich“ trifft also insofern auf jeden Fall meinen Nerv! Und solange mir nix Besseres einfällt, organisiere ich gerne mit jungen engagierten Menschen Demos. Das ist für mich definitiv besser, als nix zu tun oder zu jammern! – Susanne Konstanze Weber

ZEHN

Die Konstante im Alltag: Der tägliche Probenplan
16. April 2020

Seit genau fünf Wochen befindet sich das Schauspielhaus Graz nun im Ausnahmezustand. Am Freitag, dem 13. März, kamen wir abrupt zum Halten: Alle Proben wurden unterbrochen, vier Regieteams wurden in Windeseile zurück nachhause, nach Deutschland, geschickt, bevor zwei Tage später die Grenzen geschlossen wurden.

Fixum in der häuslichen Isolation ist der Probenplan, den unser Künstlerisches Betriebsbüro unverdrossen jeden Tag aussendet – als Zeichen der Normalität in unnormalen Zeiten. Fünf Wochen lang bot der Probenplan trotz diverser aufmunternder, informativer und erheiternder Anhänge, die unser Betriebsdirektor Georg Kandolf mit Lust und Liebe zusammenstellte, einen zwar amüsanten, doch auch traurigen Anblick. Alles durchgestrichen.

Aber ab morgen ist das anders! Es wird wieder geprobt! – Karla Mäder

NEUN

Probenstart im Virtuellen
14. April 2020

Konzeptionsprobe für die Deutschsprachige Erstaufführung auf Zoom: Graz – Amsterdam – Langenboom – Hamburg – Brüssel – Welt. Aufregend und beglückend. Ganz viele Kolleg*innen heute das erste Mal gesehen! Toll, dass alle mit dabei waren. Wie bei einer richtigen klassischen Konzeption – aber auch dabei: Übersetzerin Eva Pieper (aus Amsterdam) und… Lot Vekemans! Ab morgen dann Text, Gedanke, Gefühl – Figurenarbeit mit Susanne K. Weber.

ACHT

Nachdenken über Musik mit Matthias Schubert
13. April 2020

Rupert Marnie ist ein Synonym, unter dem ich elektronische Tanzmusik und Ambient produziere. The Press Group ist ein Plattenlabel, das ich mit vier Freunden gegründet habe. Auf diesem veröffentlichen wir Techno- & Housemusik auf Vinyl sowie digital. https://rupertmarnie.bandcamp.com/
www.thepressgroup.de

Wie erlebst Du den Shutdown gerade?

Um ehrlich zu sein, erlebe ich den Shutdown gerade als etwas sehr Positives. Durch den Shutdown kommt man dazu Dinge zu erledigen, die man schon längere Zeit vor sich hergeschoben hat… Ich erlebe den Shutdown auch als etwas sehr Entschleunigendes. Ich verbringe sehr viel Zeit damit Musik zu machen und meine Plattensammlung zu sortieren. Man muss aber dazu sagen, dass ich das Glück habe mit meiner Freundin zusammen zu wohnen. Alleine isoliert, würde ich den Shutdown wahrscheinlich ganz anders wahrnehmen.

Was ist für Dich das Besondere an dieser Arbeit?

Das besondere an der Arbeit ist sicherlich, dass die Konzeptionsgespräche über die Musik und auch die ersten Proben über Zoom stattfinden und man sich nicht persönlich trifft. Nach unserem ersten Zoomgespräch über die Musik war ich aber positiv überrascht, wie gut das Arbeiten über Entfernung funktioniert. Ich hatte das Gefühl, dass man konzentrierter arbeitet und auch schneller zu einem Ergebnis kommt, weil man fokussierter ist.

Wieviel Skizze einer Annahme von Figur soll / kann / darf / muss Musik liefern? Schlüssel: z.B. Limburger Dialekt/Steirische Färbung. Wann wird eine Setzung zur Doppelung? Humor und Figurenzeichnung im konzeptionellen Balanceakt vorweg.

Wie hast Du Dich diesem Stück angenähert? Wie würdest Du den Entwurf beschreiben, was wollen wir schon verraten?

Ich frage mich immer: Wie kann man die emotionalen Zustände der einzelnen Figuren durch die Musik beschreiben und widerspiegeln? Bei den verschiedenen Figuren hatte ich unterschiedliche Herangehensweisen. Für Jantje/Gerda entwickelte ich z.B. einen kurzen Walzer, welcher durch Instrumente wie Kuhglocken und Alphörner eine gewisse Absurdität erhält. Mal sehen, wie und wo und wann wir es einsetzen… Es gibt drei musikalische Hauptthemen, die den jeweiligen Figuren zugeordnet sind. Elemente davon werden wir auch in reduzierter Form in den verschiedenen Monologen ausprobieren.

SIEBEN

Kostümbildnerin Lot Lemm über das, was jetzt kommt
13. April 2020 (Ostermontag)

Je ne suis pas une écrivaine
Je suis  une costumière
J’ai construit des scénographie
Je suis
Une humble céramiste
Je pourais chanter et danser pour vous
Mais écrire n’est pas un fort
Alors
Allons y

Cette pièce est spéciale car ELLE se mets
Dans son public
Elle se adresse directement avec son public
Sur un lieu:
(La où habite le pouvoir )
on pourrai peut-être changer des choses …
Le fait que on a 3 différent points de vue
Seulement enrichi le spectacle
Il s’agit de 3 FEMMES
Qui ont de point de vue intéressant
Différent
Est sûrement un plus
Un spectacle, costumes
Jésss

Mais alors maintenant …
Dans ce temps que on vie
Pandémique
Pas question de voyager
De ce voir
Comment quand-même progresser avec ce travaille
On c’est mis à discuter, penser, dessiner
Sur distance
L’imagination est une force que on ne peut pas nier
Elle est forte
On en a besoin encore  plus  maitenant

Voilà
Laissions s’envoler sur les ailes de l’imagination
Parce que les avions serront pour plus tard …

Ich bin keine Autorin
Ich bin Kostümbildnerin
Ich habe Bühnenbilder gebaut
Ich bin eine bescheidene Keramikerin
Ich kann singen und tanzen für Euch
Aber schreiben ist nicht meine Stärke
Also
Los geht’s

Dieses Stück ist speziell
Weil es im Publikum spielt
Es wendet sich direkt an sein Publikum
Vor Ort: Dort, wo die Macht wohnt
Man könnte, vielleicht
Etwas ändern …
Die Tatsache, dass man drei verschiedene Perspektiven hat
Bereichert die Inszenierung
Es handelt sich um drei Frauen
Die interessante Ansichten haben
Unterschiedliche
Das ist sicher ein Pluspunkt
Ein Theaterstück, Kostüme
Jaaaa

Aber momentan …
Was wir erleben
Pandemisch
Unmöglich zu reisen
Zusammen zu sein
Wie trotzdem weitermachen mit der Arbeit
Wir sind gezwungen zu diskutieren, nachzudenken, zu zeichnen
Auf Distanz
Die Fantasie ist eine Kraft, die man nicht verleugnen kann
Sie ist stark
Wir brauchen sie mehr denn je

Also gut
Lasst uns auf den Flügeln der Fantasie davonfliegen
Die Flugzeuge sind für später

Zoom mit Lot am 25. März, Nachdenken über das Prinzip: Wie schichten wir die Kostüme? Wie gestalten wir die Wechsel zwischen den Figuren? Wie packen wir die Zeichnung der einzelnen Charaktere an? Aber auch: Können wir Susanne Weber Probenkostüme nach Hause liefern lassen? Brüssel – Welt.

SECHS

Ante-Corona-Flashback III
Konzeptionstreffen in Hamburg
12. April 2020 (Ostersonntag)

Einige Zeit nach dem Gespräch mit Lot Vekemans in Graz konnte uns der Kiepenheuer-Theaterverlag in Berlin eine englische Arbeitsübersetzung bereitstellen, mit der wir alle vorbereitenden Arbeiten erledigen konnten. Auf die deutsche Übersetzung mussten wir länger warten. Diese kam just an dem Tag, an dem wir uns erstmalig als Regieteam in Hamburg versammelt hatten. Ein heterogeneres Regieteam kann man sich kaum vorstellen: Neben Jochen (48) und mir (47), die wir uns seit 15 Jahren kennen und damals in Norddeutschland einige Produktionen zusammen gemacht haben, kamen von Grazer Seite Kathrin Eingang (27) als Bühnenbildnerin dazu und von Jochens Seite eine frühere Weggefährtin: Lot Lemm (62), Kostümbildnerin der belgischen Needcompany und seit 27 Jahren an der Seite von Jan Lauwers tätig. Die Tage in Hamburg waren produktiv und auch unterhaltsam, u.a. dank kleinen Ausflügen in die Großstadt zu Erholungszwecken. Den größten Schock erlebten wir, als Jochen darauf bestand, dass wir uns im Internet ein paar Gemeindesäle in der Steiermark anschauen – auch ohne zu wissen, ob man dort je zu Gast sein würde. Vom holzgetäfelten Sitzungssaal, auf den das Adjektiv „altehrwürdig“ zutrifft bis zum altmodisch wirkenden 80er-Jahre-Bau war einiges zu finden. Am allermeisten sahen wir aber: deprimierende, schulzimmerähnliche, kleine Räume mit nichtssagender Architektur. Anders als Kirchenräume verfügen Sitzungssäle also über keine besondere Aura. Wer hätte das gedacht. Und was bedeutet es für die politischen Institutionen – und für unsere Inszenierung –, wenn sie in nicht-repräsentativen Räumen arbeiten müssen, die bestenfalls zweckmäßig sind und aus denen man am liebsten aber so schnell wie möglich wieder verschwinden möchte? – Karla Mäder

FÜNF

Ante-Corona-Flashback II
Gespräch mit Kostümbildnerin Kathrin Eingang
10. April 2020 (Karfreitag)

„An die Zeit in Hamburg erinnere ich mich vor allem jetzt sehr gerne zurück. Einfach in ein Flugzeug steigen und ein paar Stunden später einen völlig neuen Ort erkunden ist aktuell schwer vorstellbar.
Das Arbeiten in Hamburg war für mich eine sehr intensive und hilfreiche Zeit. Generell ist das erste Meeting des Leadingteams für mich das Spannendste. Man tauscht sich aus, hört sich andere Gedanken und Sichtweisen an und produziert parallel bereits neue Ideen zu den bereits vorhandenen.
Ich persönlich bin kein großer Fan der Online-Meeting-Welt und bevorzuge den persönlichen Austausch, um auch die Emotionen meines Gegenübers besser einschätzen zu können. Vor allem aber fehlt mir dabei der handwerkliche bzw. kreative Zugang. Man kann nicht einfach mal schnell eine Idee auf Papier skizzieren, um seine Aussage zu unterstützen oder das Modell des Bühnenbildes in eine angedachte Position drehen.

Und ich erinnere den Prozess, wie wir darüber grübelten, was notwendig ist, um immer wieder an neuen Orten eine Spannung zu erzeugen, einen gespannten Erzählrahmen zu bauen, der Fokus und Einstieg in die Geschichten für die Schauspielerin variiert. Dass wir verschiedene Ansätze durchgedacht haben, die dem Triptychon Form verleihen, die dieses merkwürdige Buch „Niemand wartet auf Dich“, das alle drei Figuren gelesen haben, in seinem ganzen Geheimnis plastischen Ausdruck verleihen.

„Diese Arbeit war zu Beginn schon durch die spezielle Raumsituation sehr besonders, da wir nicht wissen, an welchen Orten das Stück aufgeführt wird. Ein Bühnenbild zu entwerfen, ohne die Räumlichkeiten zu kennen, ist schon eine Herausforderung.
Die Umsetzung eines so anpassungsfähigen Bühnenbildes ist eine ganz besondere Aufgabe, die ich so noch nicht hatte.“ – Kathrin Eingang

Nun konfrontieren wir eine zusätzliche Herausforderung: Wir hatten in Hamburg dann unterschiedliche Ratssäle und öffentliche politische Orte recherchiert, um mit einfachem klaren Bild in diese Versammlungsstätten der Demokratie hinein zu zeichnen. Durch die geänderte Situation der Versammlungsverbote produzieren wir jetzt wahrscheinlich erst mal in einem Theaterort, im Haus 3 – wird der minimalistische Ansatz auch in einem Theaterrahmen passen? Fehlt die Verortung im Schwarz des Theaters? Der Hintergrund der realen Orte? Oder werden wir diesen leeren Raum als Bereicherung ansehen? Kann man nur live herausfinden…

17. Februar 2020 – Konzeption in Hamburg

VIER

The Coronation
9. April 2020

In diesen Tagen verbinden sich die Gedanken und Motive und Erzählungen des Triptychons, das Lot Vekemans geschrieben hat, in mir mit aktuellen Erlebnissen, die lesend meine Wahrnehmung prägen: In was für eine Welt werden wir zurückkehren? Wieviel der Erkenntnisse über ethische, moralische, weltliche, spirituelle, finanzielle, globale, regionale Gestaltung von Welt werden wir anpacken? Auch ich hatte zu Beginn des Shutdowns ein Gefühl von: Vielleicht strukturiert sich alles neu. Sinnvoller. Lesenswert in diesem Zusammenhang: The Coronation von Charles Eisenstein.

DREI

Ante-Corona-Flashback I
Wie alles begann
12. April 2020 (Ostersonntag)

Vor zwei Jahren, im Juni 2018, stand ich mit der Autorin während unseres internationalen Dramatiker*innenfestivals im idyllischen Garten vom Grazer Café Le Schnurrbart. Lot erzählte mir von einem ihrer letzten Stücke, mit dem sie der holländischen Politikverdrossenheit etwas entgegen setzen wollte. Der Clou dabei: Das Ein-Personen-Stück wurde in holländischen Rathäusern gezeigt – also dort, wo Demokratie praktisch ausgeübt wird. Das wäre doch eine super Nachfolgeproduktion zu unserem „Judas“ (ebenfalls von Lot Vekemans), den wir ausschließlich in Kirchen spielen! Vielleicht würden wir ja eine ähnlich erfolgreiche Tournee auch mit diesem Stück hinbekommen? Allerdings verdankt sich der Erfolg unseres „Judas“, der inzwischen (in der vierten Spielzeit) bald 70 Vorstellungen auf den Buckel hat, vor allem der tatkräftigen Mitarbeit von zwei besonderen Kirchenfrauen: Dr. Gertraud Schaller-Pressler von der katholischen und Mag. Helga Rachl von der evangelischen Kirche, die quasi als „Vertreterinnen“ bis heute eifrig Werbung bei den Kirchengemeinden dafür machen. Ohne die beiden hätte es niemals diese für das Schauspielhaus relativ mühelos zustande gekommene, große Resonanz gegeben. Ob es so eine tatkräftige Task Force auch auf Seiten der Steirischen Landespolitik gibt, wird sich noch herausstellen müssen. Unsere Dramaturgie-Hospitantin Chiara Juriatti und ich haben in den letzten Wochen ein Konzept zur Bewerbung dieser Produktion in den Steirischen Gemeinden gemacht, ein Dossier erstellt, Ansprechpartner recherchiert und waren kurz davor loszulegen – und dann kam Corona. Das Dossier liegt in der Schublade und wartet auf bessere Zeiten, in denen die Politik wieder ansprechbar ist für anderes als Corona. – Karla Mäder

ZWEI

Strange is the new normal: Wie man sich auf soziale Distanz trifft
9. April 2020

Vorbereitung der Konzeptionsprobe: Texte, Bilder, Musikbeispiele austauschen. Noch alles ungewohnte Bilder. Schon bald werden Freund*innen, Kolleg*innen, Nachbarschaft stöhnen über: Trockene Augen, permanente Mails, ausdauernde Telefonate und die Versuche, die Wirklichkeit weiter in Bewegung zu halten. Das Business nicht aus den Augen zu verlieren…

EINS

Theatermachen in Zeiten des Shutdowns
7. April 2020

Das werden wir ja noch sehen, wer da auf uns wartet. Ostern steht vor der Tür, traditionell eher ein Moment freudiger Erwartung für religiöse Naturen. Woche drei des Corona-Shutdowns. Wir haben diese Woche endgültig entschieden, dass wir unserem Plan folgen und eine erste Phase von Proben realisieren werden. Digital. Graz – Brüssel – Hamburg – Welt. Proberaum: Zoom. Vor allem, weil wir Lust auf dieses inter/nationale Abenteuer haben. Auszuprobieren, was geht im Theater auf (soziale) Distanz. Was geht gedanklich. Und ab wann fehlt die körperliche Präsenz so stark, dass Proben keinen Sinn mehr machen. Ab wann fehlt uns diese ganz besondere Spannung, das Bewusstsein, dass es bald schon zur  Live-Begegnung mit dem Publikum kommt.
Und natürlich beschäftigen wir Theatermenschen uns lieber mit Inhalten und mit Theater als mit der Frage, was noch da sein wird, wenn die Normalität zurück kehrt. Wer dann auf uns noch wartet.

Normalerweise finde ich es gut, dass niemand auf mich wartet
Dann kann ich alles schön in Ruhe machen
Aber wenn ich mir vorstelle, dass da (sie zeigt zum Himmel)
Dass da oben nachher niemand auf mich wartet, wenn ich ankomme
Ja, das ist dann weniger schön.“
Lot Vekemans

Ich selber möchte in diesem Making-of Logbuch weniger vom Stück, vom Plot, erzählen, wiewohl es einer der tollsten Texte der letzten Jahre ist, aber ich hoffe, dass alles was in den kommenden Tagen und Wochen geschrieben und beigefügt wird, ein komplexes Bild vom Material geben wird, ohne schon alle Geheimnisse vorher zu verraten. Ich möchten den Arbeitsprozess schreibend begleiten. Während wir gemeinsam etwas erleben, dass wir nie zuvor so erlebt haben. Please, write, comment and contribute as U like! Auf die Alleinsamkeit.

2 Kommentare zu “Making-of Niemand wartet auf Dich

  1. Ingmar Bartels

    „Niemand wartet auf dich“. Wir arbeiten vor allem mit Google Hangout. Wenn du das der erste bei der Besprechung bist, den falschen Link im Kalender ausgewählt hast, oder sich doch alle spontan auf Slack treffen, steht da immer „Außer dir nimmt niemand teil“. Ein ähnlich einsames Gefühl. Für eure Zusammenarbeit stelle ich es mir unfassbar schwer vor, in Kontakt zu kommen, ohne die Reaktion des Gegenübers wirklich spüren zu können. Von Zwischentönen ganz zu schweigen. In Österreich gibt es ja nicht nur eine neue Kulturstaatssekretärin, sondern auch erste Hoffnungsschimmer für den Kulturbereich. Hoffe, dass ihr bald von Zoom auf die Bühne wechseln könnt.

  2. Tief berührt vom Interview mit Susanne Weber und vom virtuellen Proben zu erfahren. Ich hoffe, keiner wartet auf Dich bald in Wirklichkeit sehen zu dürfen. Stefanie Köster

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