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Making-of Dschabber

„Jabber“ des ägyptischen Kanadiers Marcus Youssef öffnet uns neue Denkräume für Empathie und kritische Distanz zu eigenen Vorurteilen. Wie gehen wir mit Religion und Ritualen um? Besonders wenn es sich in gesellschaftlichem Diskurs aufgeladene Symbole sind, wie zum Beispiel der Hijab, das Kopftuch… Darüber, wie wir auf der Bühne mit Ritualen und Symbolen aber auch mit Rollenverteilungen im postmigrantischen Theater und Diversifzierung umgehen, gibt es mehr zu lesen und zu diskutieren und zwar: hier.

Berühmtes KiJu-Theater in Westberlin mit U-Bahnstation und Matthias vor der Konzeptionsprobe, Jubiläumsspielzeit!

Probenstart am GRIPS ist besonders. Schon die Auswahl von Stück und Regie passierten im großen Gremium, und auch die Konzeptionsprobe beschäftigte das ganze, traditionsreiche Theater am Berliner Hansaplatz: Technik, Kasse, Marketing, Requisite, Ton, Maske, Pädagogik, Intendanz, Licht, Werkstatt, alle alle alle, die sich interessierten kamen – und blieben. Einmal gemeinsam das Stück lesen, nachdem ich erzählte, wie unsere Pläne für die deutschsprachige Erstaufführung sind. Christin war noch mit der Osnabrücker MEDEA2 Produktion in Afrika und wir hielten uns via What’s App auf dem Laufenden. Ein tolles Erlebnis, nach dem Lesen im großen Plenum das Stück zu diskutieren. Jede/r am Theater hat die Story und die Ideen nun einmal gehört, wer wollte, hat seine Gedanken dazu formuliert und ahnt, wohin wir wollen mit der Konzeption und warum wir bestimmte musikalische Element oder Kostümteile oder Abläufe vielleicht brauchen. Ein Modell, das ich immer wieder gesucht habe, um tatsächlich alle mit einzubinden und mit jedem am Haus im Kontakt sein zu können; vielfach gefordert, selten aktiv gelebt. Umso schöner, dass die GRIPS Tradition sich in eine genau miteinander ausgehandelte basisdemokratische Form renoviert hat.

Gleich zu Anfang sind wir in eine Schule gegangen. Haben mehrere Szenen gelesen und David, unser Theaterpädagoge, hat einen Diskurs mit viel Fingerspitzengefühl angeleitet, der nicht nur die Assoziationswelt des Stückes nachgeforscht hat in exakt der Altersgruppe, die auf der Bühne verhandelt wird, sondern auch einen unterkulturellen Austausch initiiert mit den Schülerinnen im Hijab über deren Lebenswirklichkeit. Und darüber, ob es dem Stück entsprechend für sie auch „in Ordnung“ ist, dass ihre Lebenswelt von Nicht-Muslims beschrieben und erzählt wird. Einer der Hauptkniffe des Stücks zu Anfang besteht in der Benennung der erzählerischen Situation. „Let’s say I am not … but 15, and let’s say my name is not … but Jorah.“

Back from Moçambique: Christin erkundet die Berliner Hijab-Szene an der Sonnenallee. Erste Versuche, wie man das Tuch anlegt.

Und natürlich beschäftigt uns diese Frage zu Anfang ständig: Wer repräsentiert wen? Was bedeutet das, als deutsche Frau, das Kopftuch anzulegen? Was macht es? Welche Sinne schränkt es ein, wie verändert es die Körperhaltung? Muss eine bestimmte Form von Demut oder Respekt vor dem Zeichen ins Spiel eingebaut werden? Oder ist es ein Theatervorgang, so wie wir auch mit anderen rituellen Zeichen auf der Bühne umgehen? Was uns bei den jungen Frauen in der Schule auffiel: Der Glaube, das Accessoire als Ausdruck für etwas Anderes, Größeres, gab auch eine geheimnisvolle, kostbare Aura. Etwas… Besonderes; etwas Unbeschreibbares. Was gibt es Interessanteres in der Pubertät als ein Wissen um die eigene Einzigartigkeit…? All diese Gedankenwelten bestimmen unsere ersten Schritte auf dem Weg in den Figurenkosmos. Christin kauft auf der Sonnenallee ein Sortiment von Hijabs und Nina schaut Tutorials über die beste Art den Hijab anzulegen.

Bei den ersten szenischen Ansätzen beschäftigt uns ebenfalls: Wieviel Einfühlung, wieviel Einstieg in die Figur fühlt sich gut an? Wieviel Fremdheit und auch wieviel Bewusstsein, deutsche Performerin einer ägyptischen Refugee in einem kanadischen Stück in einer Berliner Umsetzung zu sein, tut der Erzählung gut. Das Stück bietet die narrativen Verabredungen an, Erzähltheater wechselt mit rasanten Rollenidentifikationen ab.

Erste szenische Proben: Figuren und Narrative.

17. September – erste musikalische Proben mit Matthias. Ein spannender Schritt! Nachdem wir schon einige Tage mit Thilo, der mit Drums den Spielfluss in stetiger Late-Night-Spannung hält, die Szenen auf ihren Rhyhthmus untersucht haben, kam gestern erstmals das kompositorische Element dazu. Sämtliche Musikvorgänge werden offen zu sehen sein, auch die elektronischenKompositionen werden live sichtbar per Pad produziert, so dass Narrativ, Spielform und Mittel ineinander montiert sich ergänzen. Und auf einmal bekommt das Anlegen des Hijab eine entscheidende künstliche Überhöhung. Fremdartig und rituell, ein Theaterzeichen. Spannend!

Reality-Check: In der Mitte der Probenzeit kommt „unsere“ Klasse am 5. Oktober zu Besuch. Wir zeigen 3/4 des Stücks und diskutieren im Anschluss. Was sagen die Mädchen mit Hijab über diese Darstellung? Wie stimmig ist für sie die Figur?

„Sagen wir, es gibt 2 Mialliarden Muslime auf der Welt“ – „Sagen wir, nicht alle sind gleich…“

Interessant bleibt, dass sie unisono beschreiben, dass sie niemals ihr Kopftuch abnehmen würden, um Vertrauen zu beweisen. Dieser Teil der Fiktion ist ihnen zu heftig, ebenso die Annäherung und ein möglicher Kuss. Die Argumentation ist überzeugend: Wenn Fatima den Hijab aus freien Stücken und selbstbewusst trägt, dann bedeutet das für sie etwas. Ähnlich der moralischen Vorstellungen in der katholischen Kirche oder dem Virginity-Kult in Hollywoods romantischen Schilderungen bedeutet es für die Frau etwas. Dass Theater immer bigger than life ist, dass das Stück Anregungen und Empathie-Angebote macht, dass es sich nicht um 100% realistische Doku handelt, dies gilt es immer wieder neu miteinander auszuhandeln. Aber die Frage bleibt: Wie eigenständig selbstbewusst ist Fatima Trägerin des Kopftuchs? Dabei bemerken wir natürlich auch: Was sagen jungen Frauen in der Gruppe? Was halten sie für eine Erwartungshaltung ihrer sozialen Rolle und was denken sie wirklich für sich indivuell? Wir lernen zudem, dass Mädchen mit Hijab nachvollziehbarerweise nicht als Expertinnen und Stellvertreterinnen für unsere teilweise, bei aller liberalen Offenheit gutherzig gemeinten, tendenziösen Fragen gelten wollen.

Offenbar stehen wir mit unseren offenen Fragen nicht allein. Im SPIEGEL Sonderheft 41a, 2018 #frauenland beobachtet Katrin Elger in einer spannenden Zusammenschau unter dem Titel „Kopftuchlobby, Tittenmädchen“ unterschiedlichste Positionen: „Die Frage nach dem richtigen Umgang mit dem Islam hat einen tiefen Graben durch die feministische Bewegung geschlagen. Es gibt ein hartes und auch verbissenes Ringen darum, welche Rechte wichtiger sind: die jener Frauen, welche Nachteile erleben müssen, weil sie selbstbestimmt ein Kopftuch tragen. Oder die jener Mädchen, die sich von ihrer Familie oder Community unter Druck gesetzt fühlen, sich verschleiern zu müssen. Große Egos prallen in der Debatte aufeinander.“ Lesenswert!

eMail-Interview mit Marcus Youssef, 14. Oktober 2018

What is your relationship to Islam? Are you a (faithful) Muslim?
I am not Muslim. My father is Egyptian and my family is Coptic Christian. However, as the (Arab-looking) mixed-race son of an Egyptian, in my daily life I am presumed to be Muslim by almost all the European-Canadians I know. 

Deciding to write a play about a female Muslim protagonist was a conscious choice. I have always written about North American or Western perceptions (and misperceptions) of the Arab world. I came of age during the first Gulf War and was 32 when 9/11 happened. Even before the disintegration of Syria and the latest migration from the Middle East the demonizing of Muslims and Arabs in North America was in full swing. I also was very aware that there had been very few – if any – female Muslim protagonists in a Canadian play. This felt like something I wanted to challenge. I am constantly interested in the perspective of those who, in whatever, context are presumed to be “other” or fundamentally “different.” I think the presumptions we make about those we consider “different’ often tell us more about ourselves than the people those persumptions are meant to define. I was also interested in the way an angry, young, white man with a bad reputation can be “othered”  — and what would happen if those two characters found a connection, because they are both “categories” of people who feel like they’re not permitted to belong. 

Did/do you experience Islamophobia?
Well, yes and no. Certainly not like recent immigrants from the Middle East who have non-Canadian accents or who wear clothing that may signify their religious beliefs. At the same time, as a visible Arab, there are endless assumptions that people make about me and the place my family comes from. The interesting place I occupy is that I am very enculturated. I was raised in suburban Canada, and went to school with almost exclusively white, Euro-Canadians. This puts me in what in my generation was a very unique position. Of course this experience is much more common for young people in Canada now. 

What is your relationship to Egypt? Where you born there or where you already born in Canada? In which way do you define yourself as a migrant?

I am not a migrant, I am the child of migrants – one from Egypt and the other from the United States (very different kinds of migrations, but migrations nonetheless). I consider myself an Egyptian-Canadian — primarily because I am visibly an Arab. When I go to Egypt, however, my family laughs at me if I call myself Egyptian. To them I am obviously a Canadian. It’s interesting though. I can walk down the street in Cairo and completely fit in. Until someone speaks to me – then it is very obvious that I am not Egyptian. 

Do you know about Germany’s newest history with migration and refugees? A new Angst confronts an openhearted welcome culture, a clash of civilizations divides up our society…
I do know about this. I wrote the play in 2012. As it began to tour, and as migrants from Syria and Iraq began the great exodus for safety and security in Europe I thought that I would very much like this play to be produced in Germany. It has always felt to me like it might be very relevant to European audiences. We in Canada have an interesting relationship to migration and what we call “muticulturalism”. Welcoming migrants from non-Western cultures has been part of Canada’s national immigration policy since the 1970s. However, Canada also largely limits that immigration to migrants who are seen to be economically beneficial. Canada does not prioritize family-reunification in the way that the United States does (something that, obviously, Donald Trump wants to change — the change he wants to make is, in fact, based on the Canadian model). And Canada has done a lot of self-congratulation about the number of refugees it has taken in the last few years. But on a per-capita basis it is far fewer than Germany. 

That said, Canada – maybe in part because it is a long way from most of the developing world – has a largely successful recent history of integrating migrants. I think it’s safe to say a big part of Canadian identity. Our conservatives have – mostly – supported migration from all over the world and – with some grotesque exceptions – resisted the calls to ethnic nationalism and nativism that now seem more powerful in Europe and the United States. We are, however, also seeing some growth of far-right nationalism in Canada and – interestingly and maybe ironically – Islamophobic, anti-refugee activism from other, more establish migrant communities. Many of Canada’s immigrant communities are, in fact, quite conservative socially. 

How do you write? Is part of your work in a way devising that you make workshop with young adults and develop stories coming from their backgrounds?
Yes. It depends on the play, of course, but with Jabber (and plays like it) I often go into schools whose populations reflect the characters I am writing about and spend time working with students. I lead classes and exercises and then – over time – begin to talk to the students, in groups and individually, about my ideas for the play and what they think of them. 

This is also becoming more and more important with plays like this, I think. I wrote Jabber before tens of thousands of Middle-Eastern refugees moved to Canada. The play has been performed across Canada every year since 2012. For the first time, I have received some (not a lot, but some) criticism of it, mostly from devout Muslim students who feel that it is disrespectful to Islam, particularly the scene where Fatima takes off her hijab. This has been a good process — discussing this with students and hearing their objections, and also talking about how it’s important to me in a play to consider what happens through the whole story, not just in a single scene. 

Where do you work mostly in Canada?
I live in Vancouver, which is on the west coast, about two hours north of Seattle, USA. This is where I write and where I am also artistic director of a theatre company, Neworld Theatre (neworldtheatre.com). I regularly work in most bigger Canadian cities – Toronto, Montreal, Ottawa, Calgary, Edmonton. I also sometimes work in the United States, Australia, Egypt and the United Kingdom. My plays have been produced and presented in probably 15 or so countries, in several languages. 

What are your next projects in the making?
I have quite a few on the go – it’s been a busy couple of years. Incognito Mode: A Play about Porn is a play I have written in collaboration with young people (theatre students) 20-25 years old, about what it has meant to grow up with the inernet and internet pornography fully embedded in their lives. It is in production right now at Studio 58 in Vancouver. After it finishes, I will rewrite the play for a smaller cast and it will tour universities across Canada. 

My newest play for teenagers, The In-Between, has just premiered in Montreal and is touring Canada with Geordie Theatre for the next 10 months. It is – in some ways – a companion piece to Jabber (Geordie also commissioned Jabber). 

I am writing a panto (a British holiday show tradition) for my local theatre in East Vancouver called East Van Panto: Wizard of Oz. It is silly, satirical, political and very local, for families. Many people in my life will see it when it runs in November, December and January. Many more than normally see my plays! 

A play I co-wrote with a friend and colleague named Niall McNeil, whose life includes Down Syndrome, King Arthur’s Night (a retelling of the King Arthur story through Niall’s eyes) will have its next presentation at the Hong Kong Arts Festival in March. I also play Merlin in the show so I will be traveling to Hong Kong for that. 

I am writing a screenplay based on my play Winners and Losers (which toured to Berlin, actually, in 2014, at Foreign Affairs/Berliner Festspiele). It will be made into a movie by a well-known Canadian filmmaker, Mina Shum. 

I am leading a process for the Banff Centre for Arts and Creativity, helping them imagine how they might change their Theatre Department to make it more contemporary. 

I will perform a performance event I make with my colleague Sarah Stanley called An Awkward and Embarrasing Conversation, at the PuSh Festival in January. 

And a lot more  … I do a lot of dramaturgy and also perform sometimes.

1. November: Vorfreude! Technische Einrichtung und Beleuchtung… die Endproben stehen vor der Tür!

Hauptprobe 1 hat uns in Kontakt mit mehreren Klassen gebracht, 80 Kids haben uns ordentlich Widerstand geleistet. Hauptprobe 2 waren 200 Menschen da, auch Erwachsene, eine gute Erfahrung. Marcus Youssef schaute zu und wir arbeiten immer noch intensiv weiter: Am direkten Kontakt mit dem Publikum mit der Arena-Formation, am Tempo, an der Abmischung von Humor und Emotion. Und dann heute, am 7.11. eine tolle konzentrierte geschlossene Generalprobe, in der auch die letzten Videos finalisiert werden.

Hauptprobe 1 – „Schön, eine Geschichte zu sehen, in der wir uns auch mal verlieben dürfen“, sagte eine Schülerin mit Hidschab im Nachgespräch.

Radiovorbericht auf RBB von Regine Bruckmann:

 

Die ausverkaufte Premiere war ein großer Spaß! Wir saßen neben dem Licht und Ton und haben mitgefiebert.

Und hier die Dokumentation der Aufführung.